(ots) - Problem des Landes nicht mehr Strukturwandel,
sondern schwache Produktivität - Bessere Rahmenbedingungen für
Investitionen, Verkehrswegebau und Frauenerwerbsbeteiligung nötig -
Initiativen zu Kreislaufwirtschaft, Stadtlogistik, Handel und Pflege
vorgestellt
In Nordrhein-Westfalen können bis 2020 durch gezielte
Industrieinitiativen mehr als 310.000 neue Arbeitsplätze entstehen.
Als Wirtschaftsstandort kann NRW deutlich gestärkt werden, wenn sich
die Rahmenbedingungen insbesondere in der Investitionspolitik, im
Verkehrswegebau und bei der Erwerbsbeteiligung von Frauen verbessern.
Dies sind die zentralen Ergebnisse einer neuen Studie der
Unternehmensberatung McKinsey & Company mit dem Titel "NRW 2020.
Unser Land - unsere Zukunft".
"Mit einem gezielten Wachstumsprogramm kann NRW zu den
Top-3-Flächenländern aufschließen", sagte Jürgen Schröder, Leiter des
Düsseldorfer McKinsey-Büros, am Montag bei der Vorstellung der Studie
in der Landeshauptstadt. Bis 2020 könne die Wirtschaftsleistung des
Landes (BIP) hierdurch um rund 27 Mrd. Euro zusätzlich wachsen. Die
Studie hat McKinsey auf eigene Initiative - also ohne Auftraggeber
und Bezahlung - erstellt. Damit wolle die Unternehmensberatung zu der
Debatte beitragen, wie das Land voranzubringen ist, so Schröder.
Nicht Strukturwandel ist das Problem, sondern Produktivität
Die Wirtschaft in NRW fällt der Studie zufolge seit 1980 im
Vergleich zu den anderen sieben alten Flächenbundesländern immer
weiter zurück. Der Strukturwandel früherer Jahre sei jedoch nicht
mehr verantwortlich für diese Wachstumsschwäche, erläuterte
McKinsey-Direktor Schröder. Tatsächlich weise NRW insgesamt einen
ähnlichen Branchenmix auf wie etwa Bayern. Entscheidendes Problem
sei, dass einzelne Sektoren wie beispielsweise das verarbeitende
Gewerbe, die Finanz- und Versicherungswirtschaft oder das
Grundstücks- und Wohnungswesen eine weit unterdurchschnittliche
Produktivität erzielten. Einzig im Dienstleistungssektor zeige NRW in
einigen Branchen wie Handel, Gastgewerbe und Kommunikation eine
höhere Produktivität als Bayern.
Im Bundesvergleich unterdurchschnittlich sind der Studie zufolge
auch die Ausgaben für Forschung und Entwicklung: Der Anteil am
NRW-BIP liegt 41% unter dem Bundesdurchschnitt. Die Ausgaben für neue
Anlagen in NRWs Privatwirtschaft bleiben mit 18% des BIP ebenfalls
hinter denen in Bayern oder Baden-Württemberg zurück. Würde die Lücke
halbiert, entspräche dies zusätzlichen Neuanlageninvestitionen von 8
Mrd. Euro und zusätzlichen F&E-Ausgaben von 2,5 Mrd. Euro. 87.000
neue Arbeitsplätze könnten allein hierdurch entstehen.
Der öffentliche Sektor kann nach der Studie den Standort in drei
Bereichen stärken:
- Indem er die Wirtschaftsförderung in erhöhtem Maße auf
Wachstumsbereiche fokussiert. Die aktuell angebotene
Clusterförderung deckt 40% aller Erwerbstätigen in NRW ab. "Es
geht nicht darum, mehr Geld auszugeben, sondern es gezielter
einzusetzen", forderte Schröder.
- Durch eine Erhöhung der Erwerbsbeteiligung von Frauen. Die
Tatsache, dass der Anteil weiblicher Beschäftigter mit 63,4%
deutlich unter dem Bundesdurchschnitt von 67,7% liegt, bremst
die Wirtschaftsdynamik in NRW. Zum Vergleich: In Bayern und
Baden-Württemberg sind mehr als 70% der Frauen im erwerbsfähigen
Alter berufstätig. Zudem liegt die Teilzeitquote von Frauen in
NRW um ca. drei Prozentpunkte über dem Bundesschnitt von 45,7%.
"Wenn NRW zur Quote von Bayern aufschließen würde, stünden dem
hiesigen Arbeitsmarkt 130.000 zusätzliche weibliche Fachkräfte
bis 2020 zur Verfügung", so Schröder. Dass Frauen in NRW nicht
erwerbstätig sind oder nur in geringer Teilzeit arbeiten, hat
viele Gründe. Deshalb sieht die McKinsey-Studie nicht nur Land
und Kommunen mit dem weiteren Ausbau der Kinderbetreuung in der
Verantwortung. Auch die Unternehmen müssten ihre weiblichen
Fachkräfte stärker unterstützen, etwa durch Rückkehrprogramme
nach der Elternzeit, Betreuungs- und Familiendienstleistungen
und flexiblere Arbeitszeiten und -organisationsformen.
- Mit Hilfe eines effizienteren Verkehrswegebaus mittels einer
besseren Projektsteuerung lassen sich bis zu 185 Mio. Euro
zusätzliche Investitionen im Straßenbau bei gleich bleibendem
Budget ermöglichen. Internationale Referenzprojekte beweisen,
dass dies realistisch ist.
Neue Arbeitsplätze in vier Wachstumsfeldern
Um privatwirtschaftliche Initiativen für mehr Beschäftigung in NRW
anzuregen, identifizierte McKinsey vier potenzielle Wachstumsfelder:
- Kreislaufwirtschaft. Der Markt für Elektronikschrott in Europa
wird sich der Studie zufolge bis 2020 mehr als verdoppeln. Hier
ergebe sich für NRW ein hohes Wertschöpfungspotenzial. Die
zentrale Lage in Europa, am Rhein und entlang der
Nord-Süd-Bahnachse sei optimal. Zudem sei das relevante Know-how
durch zahlreiche spezialisierte Unternehmen in NRW bereits
vorhanden. Als Kerninitiative schlägt McKinsey den Aufbau einer
großen Recyclinganlage für Elektronikschrott vor. Insgesamt
könnten so bis 2020 rund 35.000 neue Arbeitsplätze und 3,4 Mrd.
Euro zusätzliches BIP entstehen.
- Logistik. Durch eine intelligente Vernetzung der Verkehrswege
und neue Logistikkonzepte für die Versorgung von Großstädten
können in NRW weitere 15.000 Arbeitsplätze entstehen mit einem
zusätzlichen BIP von 1,6 Mrd. Euro. Thomas Netzer, Leiter des
Sektors Travel, Transport & Logistics bei McKinsey, schlug ein
koordiniertes Logistiksystem vor, wie es bereits zum Teil im
niederländischen Utrecht aufgebaut wurde. Das System verringere
die Staus durch Konsolidierung und zeitliche Steuerung des
Güterverkehrs in den Innenstädten. NRW dürfe auch beim Thema
Elektromobilität nicht den Anschluss verlieren. Die Kernregionen
Rheinland und Ruhrgebiet böten mit ihrer Dichte an Einwohnern
und Infrastruktur eine ideale Basis für den Aufbau
funktionsfähiger Elektrofahrzeugflotten. Als vorbildliches
Beispiel nannte er eine entsprechende Initiative der Deutschen
Post mit dem in Aachen entwickelten StreetScooter.
- Handel. NRWs Handelsunternehmen repräsentieren bereits heute 38%
des deutschen Markts. "Der Trend zum Kauf regionaler Produkte,
Online-Services sowie moderne Absatzkanäle sind Zukunftsfelder
für den 'Neuen Handel'", sagte McKinsey-Partner Jürgen Meffert.
Potenzial böten branchenübergreifende Kooperationen, z.B. mit
Telekommunikationsanbietern aus NRW, um gemeinsam mobile
Zahlungssysteme zu etablieren. Insgesamt könnten solche
Geschäftsmodelle 25.000 neue Arbeitsplätze mit 1,4 Mrd. Euro
Umsatz erschließen, erläuterte der Telekommunikationsexperte.
- Pflege. Die Zahl der Pflegepersonen in NRW muss um 25.000 bis
45.000 Vollzeitkräfte wachsen, um den Bedarf 2020 zu decken.
Diese Lücke kann laut Studie durch den Einsatz moderner, auf
mobilen Technologien basierender Gesundheitslösungen (mHealth)
verringert werden. Dies gehe nicht auf Kosten des
Patientenkontakts, sondern entlaste bei administrativen
Aufgaben, betonte McKinsey-Gesundheitsexperte Axel Baur.
"Aufgabe des Landes wird es aber bleiben, die Gewinnung
zusätzlicher Pflegekräfte mit Kampagnen zu unterstützen." Eine
solche Qualitäts- und Attraktivitätsoffensive sei bereits im
Polizeidienst realisiert worden. Gelänge dies auch in der
Pflege, könnten über 30.000 neue Arbeitsplätze besetzt und ein
zusätzliches BIP von 1 Mrd. Euro realisiert werden.
Nach Berechnung von McKinsey können darüber hinaus 120.000 weitere
Arbeitsplätze in NRW bis 2020 im Umfeld dieser Wachstumsinitiativen
entstehen ("induzierter Effekt"): u.a. durch den Konsum und die
Kaufkraft der zusätzlichen Arbeitnehmer.
Zur Realisierung der vorgeschlagenen Initiativen schlagen die
McKinsey-Berater ein Wettbewerbsverfahren vor, das Projektideen von
Konsortien aus öffentlichem Sektor, Wissenschaft und Unternehmen
prämiert, die großes Wachstumspotenzial versprechen.
Wettbewerbsmodelle hätten sich bereits häufig als Instrument bewährt,
um die besten Ideen zu finden und möglichst viele Akteure zu
engagieren, beispielsweise in der Exzellenzinitiative der
Universitäten.
Hintergrund
Methodik der Studie
Für die Studie wertete McKinsey über 150 Analysen zur
wirtschaftlichen Entwicklung in NRW aus, ergänzt um erprobte
Regionalentwicklungsmodelle sowie externe Quellen zur Entwicklung von
Regionen und Großstädten. Mit rund 30 Experten aus Wirtschaft,
Wissenschaft und Politik wurden zudem Interviews geführt.
McKinsey & Company ist die in Deutschland und weltweit führende
Unternehmensberatung für das Topmanagement. 28 der 30 DAX-Konzerne
zählen aktuell zu den Klienten. In Deutschland und Österreich ist
McKinsey mit Büros an den Standorten Berlin, Düsseldorf, Frankfurt am
Main, Hamburg, Köln, München, Stuttgart und Wien aktiv.
Pressekontakt:
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Kirsten Best, Telefon: 0211 136-4688,
E-Mail: kirsten_best(at)mckinsey.com
Die Studie können Sie über unsere Website anfordern: www.mckinsey.de