(ots) - Kurzsichtiger Blick
Als die Muslimbrüder im Januar 2012 aus den ersten freien
Parlamentswahlen seit Jahrzehnten in Ägypten als stärkste Kraft
hervorgingen, erklärten manche Beobachter dies mit dem Wunsch der
Menschen nach Stabilität. In den Wirren, die dem Sturz von
Langzeit-Machthaber Husni Mubarak folgten, galt die gut organisierte
Islamisten-Partei als Hoffnungsträger, um dem Land Frieden und
Wohlstand zu bringen. Diese Erwartungen lasteten auch auf den
Schultern Mohammed Mursis, des inzwischen abgesetzten Präsidenten aus
den Reihen der Muslimbrüder. Er wurde ihnen nicht gerecht und bekam
die Quittung dafür.
Dass nun viele seiner Gegner ihre Hoffnungen in Militärchef Abd
al-Fattah al-Sisi setzen, muss vor diesem Hintergrund beunruhigen.
Denn sie tun dies wieder aus dem verständlichen, aber fatalen Grund,
dass sie sich nach einem Ende der Unruhen sehnen - und Al-Sisi dieses
Durchgreifen zutrauen. Darüber vergessen sie jedoch, dass sie einen
Mann zu ihrem Heilsbringer stilisieren, der etwa noch im vergangenen
Jahr die diskriminierenden Jungfrauen-Tests an Demonstrantinnen auf
dem Tahrir-Platz verteidigte.
Der kurzsichtige Blick ist den Ägyptern mit der Wahl der
Muslimbrüder bereits einmal zum Verhängnis geworden. Nun umjubeln sie
den Militärchef - und verdrängen dabei, dass die Armee rechtlich
fragwürdig handelt, indem sie Islamisten jagt und Mursi ohne Anklage
festhält.
Franziska Kückmann
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