(ots) -
Der Sitzplatz-Streit in Rio de Janeiros Maracanã-Stadion im
Vorfeld der Fußball-WM 2014 beschäftigt längst die brasilianischen
Gerichte. Nun ist die Auseinandersetzung zwischen mehreren privaten
Sitzplatzeigentümern, dem brasilianischen Staat und der FIFA um einen
Höhepunkt reicher. Pünktlich zum Vorverkaufsstart für die WM-Tickets
wurde in diesen Tagen bekannt, dass die umstrittenen Sitzplätze, die
seit Bestehen des Maracanã-Stadions rund 4500 verschiedenen
Privateigentümern gehören, nun als Pressebereich ausgewiesen werden
sollen. Fair play sieht anders aus: Denn während die Weltpresse nun
vor dem Dilemma steht, quasi Nutznießer von Enteignung zu werden,
wollen verschiedene Sitzplatzeigentümer nach wie vor nicht so ohne
weiteres auf ihre Eigentumsrechte verzichten.
Rios Maracanã-Stadion hat es in sich: Zur Finanzierung des Baus
wurden in den 1950er Jahren einzelne Sitzplätze zu Spitzenpreisen an
Privateigentümer verkauft - mit zeitlich uneingeschränkten
Nutzungsrechten für alle Veranstaltungen im Stadion. 4500 solche
Miteigentümer gibt es. Nicht wenige von ihnen sind gegen den
Bundesstaat Rio de Janeiro schon erfolgreich vor Gericht gezogen, da
dieser für die Fußball-WM 2014 wiederum der FIFA die uneingeschränkte
und von jeglichen Drittrechten freie Nutzung des Stadions vertraglich
zugesichert - und damit die vielen Miteigentümer handstreichartig
ihrer Sitzplatzrechte enteignet hat.
Bundesstaat Rio de Janeiro hat bereits Schadensersatz zugestanden
Mittlerweile hat der Staat sein vertragswidriges Vorgehen
gegenüber den Stadionmiteigentümern indirekt eingestanden und zu
heilen versucht: Insbesondere weil klagende Sitzplatzeigentümer vor
den Gerichten immer wieder Recht bekamen, wurde mit dem staatlichen
Dekret Nr. 44236/2013 eine Schadensersatzregelung für die
Sitzplatzinhaber zugestanden (Dekret nachzulesen beim DFI -
www.fussball-institut.de). Als Schadensersatz soll der offizielle
Ticketpreis bezahlt werden. Die meisten Sitzplatzinhaber sind aber -
wie man sich denken kann - an Schadensersatz nicht interessiert. Wenn
schon einmal im Leben die Weltmeisterschaft im eigenen Stadion
stattfindet, dann wollen die Eigentümer sich dieses Ereignis
keinesfalls entgehen lassen, sondern endlich das Privileg eines teuer
erkauften eigenen Sitzplatzes genießen und die WM-Spiele in
vorderster Reihe miterleben.
FIFA untätig - Presse auf dem heißen Stuhl
Überdies für böses Blut sorgt nun das Vorhaben, im Bereich der
4500 Privatplätze den internationalen Presseblock einzurichten. Der
FIFA sind die strittigen Vorgänge bekannt, dort weiß man, dass der
Vertragspartner Brasilien mit dem Weltfußballverband einen
unrechtmäßigen Vertrag geschlossen und damit die Eigentumsrechte
Dritter schlichtweg ignoriert hat. "My game is fair play - ich spiele
fair": Mit diesem Slogan wirbt der Verband um Sepp Blatter - während
der Vertrag, den die Fußballfunktionäre mit Brasilien geschlossen
haben, doch zumindest, was das Maracanã-Stadion angeht, einige sehr
faule Stellen aufweist.
Anstatt jedoch zur Beilegung des Streites beizutragen, scheint man
bei der FIFA bislang lieber die Rolle des Unbeteiligten zu spielen.
Bleibt abzuwarten, ob die Sportjournalisten aus aller Welt hierbei
mitspielen und von heißen, weil enteigneten Stühlen aus berichten.
Für einen kritischen, der Wahrheit und Objektivität verpflichteten
Journalismus, der ernst genommen sein und nicht als Schönschreiber
der FIFA dastehen will, dürfte diese Situation unerträglich sein. Die
meisten Medien haben in der Vergangenheit Vorgänge und Strukturen bei
der FIFA sehr genau und infolgedessen zwangsläufig recht kritisch
beobachtet. Deshalb sind wir vom DFI auch sicher, dass kein Kicker
Sportmagazin, keine New York Times, keine Gazzetta dello Sport, keine
El Mundo und auch kein Guardian, um nur einige Titel der Weltpresse
zu nennen, über diese Zustände hinweggehen werden. Das DFI ist von
einigen Sitzplatzeigentümern, auch schriftlich, aufgefordert worden,
ihre Angelegenheit in Europa zu kommunizieren und zu vertreten. Mit
der FIFA befindet sich das DFI aufgrund eines am 25. Juni 2013
versandten offenen Briefes und einer darauffolgenden FIFA-Antwort im
Dialog.
Brasilianische Ausnahme-WM nicht beschädigen
In Brasilien wird eine Ausnahme-Weltmeisterschaft stattfinden. Die
Fußballwelt ist zu Gast im Lande des Rekordweltmeisters, wo es wohl
die begeistertsten und emotionalsten Fans der Welt gibt, die sich auf
ein Jahrhundert-Ereignis freuen und ein Jahrhundert-Fußballfest
feiern wollen. Einen Vorgeschmack auf die besondere Stimmung im Land
hat schon der Confederations Cup gegeben. Die FIFA WM 2014 kann als
eines der größten Sportereignisse aller Zeiten im Austragungsland
Brasilien nach innen und nach außen wirken, kann auch unter der
Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit und mit dem Willen des Volkes
zu einem gerechteren und demokratischeren Brasilien viel bewegen.
Deshalb darf nicht am Anfang Arroganz des vermeintlich Stärkeren
stehen, wenn es um Rechte Einzelner geht. Der Sitzplatzstreit muss in
einem tragfähigen Kompromiss beigelegt werden. Hierzu kann neben den
staatlichen Stellen in Brasilien und der FIFA auch die Presse
beitragen.
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