(ots) - Im syrischen Bürgerkrieg sind inzwischen mehr als
100 Journalisten wegen ihrer Arbeit getötet worden. Zu diesem
Ergebnis kommt Reporter ohne Grenzen (ROG) nach einer detaillierten
Auswertung zahlreicher Ãœbergriffe in den vergangenen Monaten
(http://bit.ly/17h2RdN). Demnach wurden seit Beginn der Proteste
gegen das Regime von Präsident Baschar al-Assad im März 2011
insgesamt 25 professionelle Journalisten und rund 70
Bürgerjournalisten getötet. Sechs von ihnen waren Ausländer. Syrien
ist damit das derzeit gefährlichste Land der Welt für Journalisten
und Medienaktivisten.
Momentan werden zudem 14 ausländische und mehr als 60 syrische
Medienschaffende von unterschiedlichen Konfliktparteien festgehalten
oder gelten als vermisst. Unter ihnen ist der deutsche Journalist
Armin Wertz, der Anfang Mai in Aleppo in Polizeihaft geriet
(http://bit.ly/156rCDF).
"Freie, unabhängige Informationen sind ein Menschenrecht und
gerade in einer Kriegssituation wie in Syrien von entscheidender
Bedeutung für alle Beteiligten", mahnte ROG-Geschäftsführer Christian
Mihr. "Das Völkerrecht gilt für alle Konfliktparteien und stellt
Journalisten unter den gleichen Schutz wie alle anderen Zivilisten.
Gezielte Gewalt und willkürliche Festnahmen oder Verschleppungen sind
damit unvereinbar."
ROG berücksichtigt bei seinen Fallzahlen ausschließlich
Ãœbergriffe, die in direktem Zusammenhang mit der journalistischen
Arbeit der Betroffenen stehen. Fälle, in denen Journalisten aus
anderen Gründen verfolgt werden oder die wegen ungesicherter
Informationen noch nicht eindeutig geklärt werden konnten, fließen
nicht in die Statistik ein. Dies galt bis zur aktuellen Auswertung
für viele Übergriffe auf syrische Bürgerjournalisten, zu deren Fällen
die Recherche besonders aufwendig ist.
Einer der jüngsten Todesfälle ist der von Shahir Muaddamani, dem
Leiter einer lokalen Pressestelle in Daraja vor den Toren von
Damaskus. Er wurde am 16. August bei einer Granatenexplosion tödlich
verletzt, als er auf dem Weg zu einer nahen Front war, um über die
Kämpfe zu berichten. Wiederholt sind Korrespondenten des
oppositionellen Fernsehsenders Orient TV verletzt worden: Pesheng Alo
wurde in Aleppo von einem Scharfschützen getroffen, Hadi Al-Menjed
bei einem Armeeangriff auf Rebellen der Freien Syrischen Armee in
Ghazlania verletzt und Ammar Dendech in der Provinz Idlib bei einem
Bombardement der Armee von Granatsplittern getroffen.
Mit größter Sorge beobachtet ROG, dass bewaffnete Rebellen und vor
allem militante Islamisten immer öfter Journalisten festnehmen oder
entführen. Für die größte Zahl solcher Übergriffe war in den
vergangenen Monaten die Al-Qaida nahestehende Gruppe Islamischer
Staat im Irak und Syrien (ISIS) verantwortlich. Eine wichtige Rolle
spielt weiterhin die ebenfalls Al-Qaida-nahe Al-Nusra-Front. ROG
zählt diese Gruppe (http://bit.ly/134769j) ebenso wie den syrischen
Präsidenten Baschar al-Assad (http://bit.ly/1c1Sk6u) zu den größten
Feinden der Pressefreiheit weltweit (http://bit.ly/106E3Me).
Zu den Vermissten gehören Medienaktivisten wie Mohammed Nour
Matar, der Bruder des in Deutschland im Exil lebenden Journalisten
und Menschenrechtsaktivisten Amer Matar (http://bit.ly/18mMac0). Ãœber
seinen Verbleib gibt es keine Informationen, seit er am 13. August
aus der nordsyrischen Stadt Raqqa über Gefechte zwischen
rivalisierenden Rebellengruppen berichten wollte. Ein Sanitäter fand
seine verkohlte Kamera am Ort eines von ISIS verübten
Selbstmordattentats.
Nach wie vor vermisst wird auch Sami Jamal, ein freier Mitarbeiter
des von ROG unterstützten unabhängigen Senders Radio Rozana
(http://www.rozana.fm). Er wurde am 14. August in Al-Atarib östlich
von Aleppo von ISIS-Rebellen entführt. Der freie Journalist Mustapha
Al-Ahmady wurde am 11. Juni in dem Grenzort Jarabulus von der
Nusra-Front festgenommen und Berichten zufolge öffentlich gefoltert,
bevor er nach fünf Tagen freikam. Al-Ahmady berichtet aus Jarabulus
seit Beginn der Anti-Assad-Proteste für arabische Medien.
In Raqqa griffen ISIS-Rebellen am 8. Mai den Sitz der
Nachrichtenagentur Free Syria News an und nahmen dabei zehn
Mitarbeiter sowie drei Besucher fest. Die Mitarbeiter der Agentur,
darunter ihr Leiter Jassem Awad sowie ihr Chefredakteur und Gründer
Jameel Salou, wurden nach eigenen Angaben 25 Tage lang festgehalten,
misshandelt und gefoltert.
Verstörend sind auch die zahlreichen Verhaftungen und
Willkürurteile durch sogenannte Scharia-Gerichte in den
Rebellengebieten. Ein solches Gericht ließ in Aleppo etwa den
Fotografen Zaid Mohammed verhaften, weil er öffentlich zur Schaffung
eines demokratischen und säkularen Staats in Syrien aufgerufen hatte.
In einem anderen Fall ordnete ein Scharia-Gericht die Festnahme des
Medienaktivisten Abdullah Maraai an, nachdem sich ein
Rebellenkommandeur über einen kritischen Artikel in einer
Wochenzeitung beschwert hatte.
Auch die Sicherheitskräfte Al-Assads gehen mit unverminderter
Härte gegen Medienschaffende vor. Einer der Gründer von Orient TV,
der Videotechniker Abdurrahman Rya, wurde unter unbekannten Vorwürfen
am 7. Juni in seinem Büro in Damaskus festgenommen. Die Journalistin
Shaza Al-Maddad (Al-Khabar, Baladna) kam nach ihrer Verhaftung am 2.
November 2012 erst am 10. Juli auf Kaution frei und wartet nun auf
ihren Prozess vor einem Anti-Terror-Tribunal. Am 12. Juni verurteilte
ein Militärgericht in Damaskus den Journalisten Bilal Ahmed Bilal vom
Fernsehsender Falesteen Al-Youm zu 15 Jahren Haft.
Am 21. August wurde auch der Prozess gegen Mazen Darwish
fortgesetzt, den Gründer des Syrischen Zentrums für Medien und
Meinungsfreiheit (SCM). Darwish - von ROG 2012 als Journalist des
Jahres geehrt (http://bit.ly/186HqZc) - sowie seine Mitarbeiter
Hussein Gharir und Hani Zaitani wurden am 6. Februar 2012 verhaftet.
Sie sind ausdrücklich wegen ihrer Arbeit für das SCM angeklagt. Gemäß
einem 2012 erlassenen Anti-Terror-Gesetz drohen ihnen 15 Jahre Haft
sowie Zwangsarbeit. Der Prozess gegen zwei weitere SCM-Aktivisten
wurde zuletzt mehrfach vertagt und soll nun am 2. Oktober fortgesetzt
werden.
Auf der ROG-Rangliste der Pressefreiheit steht Syrien auf Platz
176 von 179 Ländern - noch schlimmer ist die Lage nur in
Turkmenistan, Nordkorea und Eritrea. Aktuelle Meldungen zur Situation
von Journalisten und Medien in Syrien finden Sie unter
http://en.rsf.org/syria.html.
Pressekontakt:
Reporter ohne Grenzen
Ulrike Gruska / Christoph Dreyer
presse(at)reporter-ohne-grenzen.de
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T: +49 (0)30 60 98 95 33-55