(ots) - Zum 40. Jahrestag des Putschs von General Augusto
Pinochet in Chile an diesem Mittwoch (11. September) erinnert
Reporter ohne Grenzen an die bis heute nachwirkenden Folgen der
Militärdiktatur. Noch immer sind die wichtigsten Medien des
lateinamerikanischen Landes in wenigen Händen konzentriert. Aus der
Pinochet-Ära weitergeltende Gesetze behindern die Arbeit von
Journalisten sowie von Bürgerradios und anderen unabhängigen Medien.
"Wer in Chile als Journalist über Menschenrechtsverstöße oder die
Verbrechen der Pinochet-Diktatur berichtet, muss noch heute mit
Schikanen und Drohungen rechnen", kritisierte ROG-Geschäftsführer
Christian Mihr. Dass sich vor wenigen Tagen die Richtervereinigung
für ihr Versagen während der Diktatur entschuldigte, sei ein
positives Zeichen. "Es ist höchste Zeit für Gesetzesreformen, um die
Folgen der Pinochet-Ära auch für den Journalismus zu überwinden und
endlich mehr Meinungsvielfalt in den Medien zu ermöglichen."
Ein noch aus der Zeit der Diktatur von 1973 bis 1990 stammendes
Subventionssystem zementiert zulasten unabhängiger Medien die
dominierende Stellung der beiden großen privaten Mediengruppen El
Mercurio und Copesa, denen insgesamt rund 95 Prozent aller
Printmedien gehören. (http://bit.ly/11tmQyH) In ähnlicher Weise sind
auch auf dem Radiomarkt die Folgen einer unregulierten Privatisierung
sichtbar: Fast 60 Prozent aller Sender gehören der privaten
spanischen Mediengruppe Prisa. Ein 2010 verabschiedetes Gesetz sollte
eigentlich eine Neuverteilung der Frequenzen zugunsten von
Bürgerradios und anderen unabhängigen Sendern ermöglichen, konnte
aber bislang aufgrund des Widerstands der Prisa-Gruppe nicht
umgesetzt werden.
Viele der unabhängigen Radiosender bemühen sich - zum Teil seit
mehr als zehn Jahren - um eine Frequenzzuteilung. Zugleich stellt ein
Gesetz von 1982 das Senden ohne offizielle Frequenz unter Strafe.
Aufgrund dieser Regelung wurde im August 2012 die Ausrüstung des
Senders Radio Vecina in der Region AraucanÃa beschlagnahmt. Auch
anderen Radiosendern wie Kimche Mapu in derselben Region, Radio
Lógica in der Region Santiago und Radio Galáctika aus der Gegend von
ValparaÃso wurde die Anwendung dieses Gesetzes angedroht, das im
Extremfall Haft- und Geldstrafen für das Senden ohne Lizenz vorsieht.
(http://bit.ly/QDqXSe)
Unter den rund 3200 in der Pinochet-Ära ermordeten Oppositionellen
waren auch mindestens 68 Medienschaffende - 21 Journalisten, 20
Fotografen, Kameraleute und Techniker sowie 27 Arbeiter von Zeitungs-
und Zeitschriftendruckereien. Die meisten von ihnen wurden in den
Wochen unmittelbar nach dem Putsch vom 11. September 1973 getötet -
und die Täter aufgrund eines Amnestiegesetzes von 1978 niemals
verfolgt. Doch auch noch in den 1980er Jahren starben bei der
Niederschlagung von Protesten mehrere Journalisten.
(http://bit.ly/19DeysX)
Bis heute geht die Polizei immer wieder brachial gegen Reporter
vor, die über Demonstrationen berichten. So gab es bei den
Studentenprotesten von 2011 zahlreiche gewaltsame Ãœbergriffe und
Festnahmen. In einigen Fällen wurden Fotos und Videoaufnahmen der
Reporter gelöscht und ihre Berichterstattung damit faktisch zensiert.
Auch bei Protesten in der Region Aysén im Frühjahr 2012 kam es zu
Polizeigewalt und willkürlichen Festnahmen von Reportern. Die
Ausstrahlung des Regionalsenders Radio Santa Maria wurde stark
behindert. (http://bit.ly/zgRncw) Wiederholt wurden in Aysén sowie in
der Region AraucanÃa in- und ausländische Journalisten, die über
Protestbewegungen berichteten, mit Hilfe eines Antiterrorgesetzes von
1984 verfolgt. (http://bit.ly/17mX5ok)
Besonders heikel ist die Berichterstattung über Tabuthemen wie die
Landrechtskonflikte der indigenen Mapuche-Bevölkerung mit der
Zentralregierung. Auch Journalisten, die über die Zeit der Diktatur
recherchieren, sind verschiedentlich Drangsalierung, Überfällen und
Drohungen ausgesetzt gewesen - darunter der dpa- und
ROG-Korrespondent Mauricio Weibel. (http://bit.ly/VJCQZg)
2010 hat Chile als erstes Land der Welt das Prinzip der
Netzneutralität in ein Gesetz gegossen und garantiert damit, dass
Informationen im Internet ohne Rücksicht auf Absender, Empfänger oder
Inhalt gleichberechtigt behandelt werden müssen. Allerdings hatte
2011 erst weniger als die Hälfte aller chilenischen Haushalte
Internetzugang, so dass die positiven Regelungen in diesem Bereich
alleine nicht ausreichen, um die Konzentration bei anderen Medien
auszugleichen.
Auf der ROG-Rangliste der Pressefreiheit steht Chile auf Platz 60
von 179 Ländern. Aktuelle Meldungen zur Lage der Journalisten und
Medien im Land finden Sie unter http://en.rsf.org/chile.html.
Pressekontakt:
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Ulrike Gruska / Christoph Dreyer
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