(ots) - Gut drei Monate vor den Olympischen Spielen in
Sotschi hat die russische Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor der
unabhängigen Nachrichtenagentur Rosbalt die Lizenz entzogen. Das
entschied heute (31. Oktober) ein Moskauer Gericht. Reporter ohne
Grenzen verurteilt dies aufs Schärfste. "Das Vorgehen gegen Rosbalt
ist ganz offensichtlich politisch motiviert", sagte
ROG-Geschäftsführer Christian Mihr in Berlin. "Die russischen
Behörden versuchen, eine angesehene Nachrichtenagentur mundtot zu
machen, die nicht der direkten Kontrolle des Kreml untersteht." Es
ist der erste ROG bekannte Fall, in dem einem Medium wegen des erst
vor wenigen Monaten eingeführten Verbots von Schimpfwörtern die
Schließung droht.
Bei dem Streit ging es nicht um redaktionelle Inhalte, sondern um
zwei Youtube-Videos, die Rosbalt im Juli 2013 unter anderem
begleitend zu Nachrichten über die Frauenpunkband "Pussy Riot" auf
seine Internetseite gestellt hatte. Daraufhin verwarnte die
Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor die Agentur, weil die Videos
Schimpfwörter enthielten. Rosbalt entfernte das umstrittene Material
nach eigenen Angaben noch am selben Tag von seiner Seite und setzte
sich gerichtlich gegen die Verwarnungen zur Wehr.
(http://bit.ly/1iwQcnI)
Obwohl das Urteil in diesem Prozess bislang aussteht, beantragte
die Medienaufsichtsbehörde Roskomnadsor in der Zwischenzeit bei einem
anderen Gericht den Lizenzentzug für Rosbalt. "In dem Verfahren
wurden nur Beweise der Behörde zugelassen", klagte Rosbalt-Anwalt
Dmitri Firsov. Dazu gehörte eine CD-Rom mit den fraglichen Videos,
die erst am 2. Oktober erstellt wurde - lange, nachdem Rosbalt den
umstrittenen Inhalt von seiner Seite entfernt hatte. "Wenn man so
vorgeht, lässt sich alles Mögliche beweisen", so Firsov auf den
Seiten der Agentur (http://bit.ly/17YZOSZ).
Die Generaldirektorin von Rosbalt, Natalja Afonina, bezeichnete
das Urteil als gefährlichen Präzedenzfall: "Wenn [Roskomnadsor]
unsere Agentur mit einem einzigen Federstrich schließen kann, können
sie das auch mit anderen Medien tun", sagte Afonina der
Nachrichtenagentur Interfax (http://bit.ly/1h34b9a). ROG gegenüber
kündigte sie an, den Betrieb vorerst aufrecht zu erhalten bis das
Urteil in einem Monat formell in Kraft tritt.
In Russland ist der Gebrauch von Schimpfwörtern in den Medien seit
April 2013 gesetzlich verboten. Dies gilt nicht nur für
redaktionelles Material, sondern auch für die Äußerungen von
Interviewpartnern und für Leserkommentare. Das Gesetz sieht Strafen
von umgerechnet bis zu 4.500 Euro für Sender oder Verlage vor. Nach
zweimaliger Verwarnung durch die Medienaufsichtsbehörde können Medien
geschlossen werden. Die Regelung bietet breiten Raum für politischen
Missbrauch, denn eine offizielle Liste, welche Wörter eigentlich
verboten sind, existiert nicht.
Im aktuellen ROG-Bericht "Der Kreml auf allen Kanälen" beschreibt
Reporter ohne Grenzen detailliert die diversen Gesetzänderungen der
vergangenen eineinhalb Jahre, mit denen Journalisten in Russland
eingeschüchtert werden sollen (http://bit.ly/1e3uJ5q). Seit Beginn
der dritten Amtszeit Wladimir Putins als Präsident hat der Kreml die
Kontrolle der Medien noch einmal erheblich verschärft. ROG zählt
Präsident Putin zu den größten Feinden der Pressefreiheit weltweit.
Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht das Land nur auf Platz 148
von 179 Staaten.
Pressekontakt:
Reporter ohne Grenzen
Ulrike Gruska / Christoph Dreyer
presse(at)reporter-ohne-grenzen.de
www.reporter-ohne-grenzen.de
T: +49 (0)30 609 895 33-55
F: +49 (0)30 202 15 10-29