(ots) - Darf eine Kommune ihr Krankenhaus finanziell
stützen? Ist das mit dem europäischen Wettbewerbsrecht vereinbar oder
stellen solche Hilfen einen unzulässigen Wettbewerbsvorteil
kommunaler Krankenhäuser gegenüber anderen Klinikträgern dar? Der
Interessenverband Kommunaler Krankenhäuser (IVKK) hat heute in Berlin
ein verfassungsrechtliches Gutachten vorgestellt, das eindeutig
nachweist: Solche Hilfen sind zulässig. Gleichzeitig strebt der
Verband aber nun eine grundsätzliche Klärung durch das
Bundesverfassungsgericht an. Es soll darüber entscheiden, welchen
Stellenwert die Krankenhausversorgung in Deutschland überhaupt hat:
Sind Krankenhäuser Wirtschaftsbetriebe und unterliegen damit dem
Wettbewerbsrecht oder sind sie Teil der Daseinsvorsorge des Staates
und damit auch der Kommunen? Welche Kompetenzen hat die Europäische
Union, darauf Einfluss zu nehmen?
Der Verband reagiert mit seiner Forderung auf die "anhaltende
Schwäche der Gesundheitspolitik in Bund und Ländern, die seit Jahren
an Symptomen kuriert, anstatt diese Grundsatzfrage zu beantworten",
so IVKK-Vorsitzender Bernhard Ziegler. Ausgangspunkt für die Kritik
war eine Wettbewerbsklage privater Klinikbetreiber, die jedoch nach
dem Inhalt des Expertengutachtens abzuweisen wäre.
Dass es überhaupt zu der Klage kommen konnte, liegt nach Ansicht
des IVKK an der verworrenen Gesetzeslage, und damit an der Schwäche
der Gesundheitspolitik. "Seit Jahren erleben wir, wie die Politik aus
dem Zustand der Not heraus operiert", so Ziegler. Offensichtlich
fehle es sowohl Bund als auch Ländern an der Kraft zu einer
grundsätzlichen Klärung. In halbherzigen Reformansätzen seien
zahlreiche Details verändert worden. Entstanden sei ein immer stärker
kommerzialisiertes Krankenhauswesen, in dem die Bedürfnisse von
Patienten zu Produktionsfaktoren degradiert worden seien. "Private
Betreiber finden inzwischen günstige Bedingungen vor und berufen sich
in ihrem Kampf um Marktanteile auf ein Wettbewerbsrecht, welches für
Automobilkonzerne oder Großbäckereien geschaffen wurde", bemängelt
er.
Kommunale Krankenhäuser sind jedoch keine Unternehmen im Sinne des
Wettbewerbsrechtes, hat der vom IVKK beauftragte Gutachter, der
Hannoveraner Staats- und Europarechtler Professor Dr. Volker Epping,
herausgearbeitet. Eine Klage, die wie im vorliegenden Fall am
Landgericht Tübingen Ausgleichszahlungen und Bürgschaften einer
Kommune für ihr Krankenhaus als Verstoß gegen EU-Beihilferecht und
damit als Wettbewerbsverzerrung verbieten lassen möchte, sei
unbegründet.
Sowohl im Europarecht, aber vor allem auch im Grundgesetz, gebe es
Schranken gegen eine damit verbundene Unterordnung der
Krankenhausversorgung unter marktwirtschaftliche Gesetze. Die im
Grundgesetz verankerte Unantastbarkeit der Menschenwürde sowie das
hier ebenfalls formulierte Sozialstaatsprinzip begründen einen
Anspruch der Bevölkerung auf eine angemessene stationäre Versorgung.
Dieser verbiete, Kliniken wie gewöhnliche Unternehmen zu betrachten,
die in erster Linie gewinnorientiert wirtschaften.
"Das Gutachten verneint die Anwendbarkeit des EU-Wettbewerbsrechts
auf den Krankenhausbereich", so IVKK-Vorsitzender Bernhard Ziegler.
Krankenhäuser seien ein elementarer Bestandteil des deutschen
Sozialstaats, der nach dem Lissabon-Urteil des
Bundesverfassungsgerichtes aus dem Jahr 2009 nicht auf die EU-Ebene
übertragen werden dürfe. Allerdings habe das Lissabon-Urteil nur
einen abstrakten Rahmen definiert. "Was wir jetzt brauchen ist eine
Klarstellung aus Karlsruhe, wie dieser Sozialstaatsanspruch der
Bürger im Hinblick auf Krankenhausversorgung konkret ausgestaltet
werden muss", fordert der IVKK-Chef. Dazu zähle sowohl die Frage der
Krankenhausfinanzierung inklusive der Verwendung etwaiger Überschüsse
aus dem Krankenhausbetrieb (Gewinnorientierung oder Gemeinnutz) als
auch die nach der Versorgungsstruktur (Kapazitäten und
Flächenversorgung.
Bernhard Ziegler: "Die bekannt gewordenen Positionen aus den
laufenden Koalitionsverhandlungen im Bund zeigen uns, dass die
Politik zwar einzelne Defizite erkennt und beheben möchte. Eine
grundsätzliche Lösung ist aber weiterhin nicht in Sicht.
Offensichtlich braucht der Gesetzgeber auch hier die Hilfe des
Bundesverfassungsgerichtes. Wir sind entschlossen, den Fall dorthin
zu bringen!"
Der Interessenverband kommunaler Krankenhäuser e.V. vertritt die
Interessen der rund 600 Kliniken in kommunaler Trägerschaft in
Deutschland. Gegründet im Jahr 2005 versteht sich der Verband als
Ergänzung zur Arbeit der kommunalen Spitzenverbände und bringt die
Stimme der fachlich verantwortlichen Geschäftsführungen, Vorstände
und Krankenhausdirektorien in die öffentliche Debatte ein. Die
Mitgliedshäuser des IVKK versorgen jährlich rund 2,5 Millionen
Patienten und beschäftigen ca. 60.000 Mitarbeiter.
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