(ots) - Reporter ohne Grenzen verurteilt die Angriffe der
syrischen Armee auf Journalisten bei den Kämpfen der vergangenen Tage
um Aleppo. Seit dem Wochenende haben die Streitkräfte von Präsident
Baschar al-Assad mindestens zwei Redaktionen direkt unter Beschuss
genommen und einen Bürgerjournalisten getötet. Zugleich stehen
Medienschaffende im Norden Syriens unter zunehmendem Druck
bewaffneter Gruppen: In den vergangenen dreieinhalb Wochen ist die
Zahl der Entführungen von Journalisten in Aleppo und Umgebung noch
einmal deutlich gestiegen.
"Die immer häufigeren Entführungen bringen immer mehr syrische
Journalisten zum Schweigen. Dadurch wird es zunehmend schwierig,
unabhängige Informationen über die Lage im Land zu verbreiten", sagte
ROG-Geschäftsführer Christian Mihr. "Regierung und Rebellen müssen
endlich internationales Recht akzeptieren. Journalisten sind
Zivilisten und dürfen auch im Krieg nicht gezielt angegriffen
werden."
Am vergangenen Wochenende griff die Armee innerhalb von 48 Stunden
die Redaktionsräume zweier Medien an. Vier Menschen wurden verletzt,
als sie am Samstag die Räume des Aleppo Media Centre (AMC) im Viertel
Miyasar mit Raketen beschoss. (http://bit.ly/1ejKMwj) Einer der
verletzten AMC-Mitarbeiter berichtete ROG, Assad-Unterstützer hätten
ihn zuvor auf Facebook bedroht. Am Sonntag um die Mittagszeit wurden
die Redaktionsräume des Halab News Network (HNN,
http://halabnews.com) beschossen und dabei teilweise zerstört.
Niemand wurde verletzt, aber HNN-Mitarbeiter berichteten von einem
abgefangenen Funkspruch der Armee, in dem ihre Arbeit als
Informationsaktivisten als Grund für den Angriff genannt worden sei.
Der Bürgerjournalist Mohamed Ahmed Taysir Bellou wurde am Dienstag
von einem Scharfschützen der Armee in den Hals geschossen, während er
über Gefechte im Nordwesten Aleppos berichtete. Bellou arbeitete für
den oppositionellen Fernsehsender Al-Shahba TV, die Shahba Press
Agency und das Medienbüro der Rebellengruppe Ahrar Souria.
Allein seit Ende Oktober haben bewaffnete Gruppen in und um Aleppo
mindestens fünf syrische Bürgerjournalisten in ihre Gewalt gebracht.
Der Fotograf Ziad Homsi wurde am 28. Oktober bei der Rückkehr von
einer Türkei-Reise an einem Kontrollpunkt der Jihadistengruppe
Islamischer Staat im Irak und der Levante (ISIS) entführt.
(http://on.tnr.com/1aFGnVt) Einen Reporter des Fernsehsenders Orient
TV, Muayyad Sallum, traf es am 1. November in einem Vorort von
Aleppo. Den Bürgerjournalisten Abdul Wahab al-Mulla, der zu den
Gründern von HNN sowie einer lokalen Journalistenvereinigung gehört,
verschleppten Bewaffnete am 7. November aus seiner Wohnung im
Stadtteil Hanano. Ebenfalls aus seiner dortigen Wohnung entführten
fünf Männer fünf Tage darauf den Medienaktivisten Jomaa Musa.
Rund 30 Bewaffnete stürmten am Abend des 14. November das Büro der
Nachrichten-Webseite Zaman Al-Wasl (http://bit.ly/1fXPW1x) in Aleppo
und suchten dort nach dem Reporter Ra'fat al-Rifaei. Dieser hält sich
seitdem versteckt. Seiner Redaktion sagte er, vermutlich sei er wegen
seiner Artikel ins Visier der Angreifer geraten. Vor allem in der
Woche vor dem Ãœberfall habe er zahlreiche Drohungen erhalten. Am 16.
November entführten Bewaffnete in Aleppo im Stadtviertel Zebdiya den
Bürgerjournalisten Ahmed Bremo.
Bei einer versuchten Entführung vor seiner Wohnung erschossen
drei Bewaffnete am 29. Oktober Mohamed Said Al-Khatib, einen
Korrespondenten des Fernsehsenders Al-Arabiya. Er wurde offenbar
wegen seiner öffentlichen Äußerungen zur Entführung dreier Kollegen
von Orient TV (http://bit.ly/16CuIkf) angegriffen.
Insgesamt sind derzeit mehr als 20 syrische Medienschaffende
verschleppt und mindestens 16 ausländische Journalisten verhaftet,
entführt oder vermisst. Eine besondere Bedrohung sind die Gewalttaten
und Drohungen der Gruppe ISIS, die keinerlei Kritik an den
Erklärungen ihrer Anführer duldet. Allein seit Anfang November sind
deshalb mehr als zehn Journalisten in die Türkei geflohen, viele
andere haben aus Furcht vor Racheakten der Jihadisten ihre Arbeit
eingestellt.
Unterdessen haben Geheimdienstmitarbeiter in einem Vorort der
Hauptstadt Damaskus am Montag vergangener Woche den unabhängigen
Journalisten Omar al-Shaar aus seiner Wohnung entführt. Seinen
Computer sowie den seiner Frau, einer Rechtsanwältin, beschlagnahmten
sie. Al-Shaar ist seit 2011 Redakteur des englischen Teils der
Nachrichtenwebseite DP-Press News (http://www.dp-news.com/en/).
Am Montag dieser Woche vertagte ein Anti-Terror-Gericht in
Damaskus ein weiteres Mal den Prozess gegen den Gründer und Leiter
des Syrischen Zentrums für Medien und Meinungsfreiheit (SCM), Mazen
Darwish, sowie gegen seine Mitarbeiter Hussein Ghareer und Hani
Al-Zitani. Seit ihrer Festnahme bei einer willkürlichen Razzia des
Luftwaffengeheimdienstes am 16. Februar 2012 hat die Anklage keine
stichhalten Vorwürfe gegen sie vorgebracht. Zusammen mit elf anderen
Menschenrechtsorganisation hat ROG deshalb in dieser Woche die
syrische Regierung aufgefordert, Darwish und seine Mitarbeiter sofort
und bedingungslos freizulassen und die Vorwürfe gegen sie
fallenzulassen. (http://bit.ly/1b5bREH) Dies hatte die
UN-Vollversammlung der Vereinten Nationen bereits am 15. Mai in einer
Resolution zur Lage in Syrien verlangt. (http://bit.ly/18Si1lE)
Syrien steht auf der ROG-Rangliste der Pressefreiheit auf Platz
176 von 179 Ländern - noch schlimmer ist die Lage nur in
Turkmenistan, Nordkorea und Eritrea. Aktuelle Meldungen zur Situation
von Journalisten und Medien in Syrien finden Sie unter
http://en.rsf.org/syria.html. Den ausführlichen ROG-Bericht
"Journalismus in Syrien - ein Ding der Unmöglichkeit?" können Sie
unter http://bit.ly/1ate6LP herunterladen.
Pressekontakt:
Reporter ohne Grenzen
Ulrike Gruska / Christoph Dreyer
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F: +49 (0)30 202 15 10-29