(ots) - Wie Gorbatschow
Papst Franziskus hat in den acht Monaten seiner Amtszeit immer
wieder durch Taten und Worte für Überraschungen gesorgt. Das trifft
auch auf sein Apostolisches Schreiben "Evangelii gaudium" zu. Die
vielen positiven Reaktionen darauf belegen, wie gut es ihm gelingt,
eine Stimmung des Aufbruchs zu erzeugen. Es wirkt glaubwürdig, dass
Franziskus keine Abschottung der Kirche will, sondern eine konkrete
Unterstützung für die Armen und Schwachen verlangt. Das ist etwas
anderes als hochwissenschaftliche, aber praxisferne Überlegungen über
die letzten Feinheiten der Theologie.
Die breite Zustimmung hat auch damit zu tun, dass der Papst für
den Vatikan vermutlich eine vergleichbare Rolle für einen
Systemwechsel einnimmt wie einst Michail Gorbatschow für den Kreml:
Das Kirchenoberhaupt will eine reformbedürftige, verkrustete
Institution von oben revolutionieren. Bei seiner Forderung nach mehr
Mitsprache der Ortsbischöfe dürften eigene negative Erfahrungen mit
der zentralistischen Kurie aus seiner Zeit als Kardinal in
Argentinien mitspielen.
Manch einer reibt sich angesichts der klaren, selbstkritischen
Worte verwundert die Augen. Die Kritik von Franziskus am
Klerikalismus und sein Plädoyer für mehr Mitsprache der Laien dürften
auf Widerstände in der römischen Kurie treffen. Noch werden sie nicht
offen geäußert. Aber so mancher Hardliner, der sich bis zum Frühjahr
als besonders papsttreu verstand, ist schmallippig geworden.
Christof Haverkamp
Pressekontakt:
Neue Osnabrücker Zeitung
Redaktion
Telefon: +49(0)541/310 207