(ots) - Wer etwas planen will, benötigt zuallererst einen
Ãœberblick. Erst dann gelingt der Durchblick. Das mag eine
Binsenweisheit sein - doch in der industriellen Praxis muss sie sich
tagtäglich von Neuem durchsetzen. Dazu leistet die Kasseler
Universitätsprofessorin Dr.-Ing. Sigrid Wenzel ihren Beitrag. An der
UNIKIMS, der Management School der Kasseler Universität und
erfolgreicher hessischer Unternehmen, qualifiziert sie gemeinsam mit
ausgesuchten Dozenten Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in
Ingenieurberufen, der Informatik, aber auch der Betriebswirtschaft,
die einen ersten akademischen Abschluss und mindestens ein Jahr
Berufserfahrung haben, in dem Studiengang "Industrielles
Produktionsmanagement". Nach fünf Semestern der berufsbegleitenden
Qualifikation haben die Studierenden ihren Masterabschluss erreicht.
"Das Studium", sagt Sigrid Wenzel, "versetzt die potenziellen
Führungskräfte der Unternehmen in die Lage, industrielle Prozesse und
Systeme über Planungsdomänen und -ebenen sowie über die
Wertschöpfungskette hinweg ganzheitlich zu verstehen und zu managen,
mit dem Ziel, Produkte und Dienstleistungen individuell zu verbessern
und Unternehmen an die Veränderungen des Marktes anzupassen. Hierbei
spielt die Informationstechnik eine wesentliche Rolle: Sie ermöglicht
die Kommunikation zwischen Prozessen und den daran Beteiligten und
sie schafft die Informationsbasis für konkrete Entscheidungen. Darum
werden den Studierenden spezifische Fachinhalte aus Technik in
Produktion und Logistik, aus Qualitäts- und Prozessmanagement, der
Arbeitswissenschaft, der Betriebswirtschaft sowie der
Informationstechnik vermittelt."
Fraunhofer und UNIKIMS kooperieren
Der Masterstudiengang wird in Kooperation mit dem
Fraunhofer-Institut für Produktionsanlagen und Konstruktionstechnik
(IPK) Berlin durchgeführt. Das Fraunhofer IPK betreibt seit über 35
Jahren angewandte Forschung und Entwicklung für die gesamte
Prozesskette produzierender Unternehmen. Im Studiengang sind die
Fraunhofer-Experten für die Lehrveranstaltungen zur Organisation im
Industriellen Produktionsmanagement sowie zur Qualität in Entwicklung
und Planung verantwortlich.
Das Studium beginnt mit einem Spiel
Das Studium beginnt spielerisch. In einem Planspiel können die
Studierenden in einem fiktiven Unternehmen und seinem Umfeld in bis
zu zwei Dutzend Rollen schlüpfen, vom Lieferanten und Einkäufer über
den Produktionsplaner und Monteur, den Qualitätsbeauftragten und
Controller bis zum Vertriebschef und Kunden. Die dargestellte Firma
produziert vier unterschiedliche Krantypen, die aus standardisierten
Metallteilen montiert werden. "Wer geübt ist, kann allein und
ungestört einen dieser Kräne in drei Minuten zusammensetzen", sagt
Sigrid Wenzel. Für das Spiel werden die Aufgaben jedoch verteilt,
Unternehmensbereiche wie Vor- und Endmontage, eine zentrale
Produktionsplanung sowie eine Qualitätssicherung eingerichtet.
Zulieferer werden angebunden und ein effektiver Vertrieb installiert.
Für jede Form der Kommunikation zwischen den Bereichen steht das
passende Formblatt zur Verfügung. Trotzdem - erfahrungsgemäß
spätestens nach fünfzehn Minuten - herrscht bereits Chaos in der
Produktionsplanung. "Nach einer Stunde gibt es vielleicht einen Kran,
der fehlerfrei ausgeliefert worden ist, aber alle haben Stress und
trotzdem das Gefühl, das Beste gegeben zu haben", berichtet Sigrid
Wenzel. Was läuft hier also falsch? An dieser Stelle sind die
Studierenden gefragt, Lösungen für die Probleme zu erarbeiten.
Der Bedarf steuert die Produktion
"Schnell lernen die Studierenden, dass die Produktion dem
kundenspezifischen Bedarf angepasst werden sollte und dass nicht alle
Vorgänge zentral gesteuert werden müssen", sagt die Informatikerin
und promovierte Ingenieurin. Begriffe wie Push, Pull,
Supermarktprinzip oder Kanban bleiben hier nicht nur graue Theorie,
sondern werden praktisch erlebt. Im Spiel darf das gesamte
Unternehmen umorganisiert werden, dürfen Abteilungen aufgelöst,
Funktionen zusammengelegt oder neu definiert werden.
Jeder ist für seinen Regelkreis verantwortlich
Die Fertigungssteuerung konzentriert sich in der
Auftragsabwicklung nur noch auf die Kundenaufträge. Statt die
einzelnen Arbeitsschritte zentral zu steuern, werden sie in kleine
Regelkreise eingebunden und nur noch nach Bedarf erledigt. Jeder ist
dafür verantwortlich, dass in seinem Kreis die Lieferung in der
erforderlichen Qualität an die nächste Station im Prozess
weitergeleitet wird. Dann dauert es meist keine halbe Stunde, bis
alle Metallteile zu Kränen verbaut sind, und die Studierenden haben
eine erste Lektion gelernt: Hohe Komplexität beeinträchtigt die
Funktion und kann auch durch noch so aufwendige Steuerungen kaum
beherrscht werden. Stattdessen geht es um Vereinfachung, die
Reduktion auf das Wesentliche. Welche Prozesse der Produktion sind
kundenspezifisch und somit kundenauftragsgesteuert? Welche Prozesse
sind nicht kundenspezifisch und lassen sich somit als Subsysteme
realisieren, die eigenständig und eigenverantwortlich arbeiten und
über bedarfsorientierte Regelkreise an die kundenspezifische
Produktion angebunden werden? Wo ist also der sogenannte
Entkopplungspunkt zu setzen, der genau diese Unterscheidung festlegt?
"Komplexität erkennen durch Erleben"
"Die Studierenden erlernen keine guten und schlechten Lösungen,
sondern sie müssen Komplexität erkennen durch Erleben", sagt die
Wissenschaftlerin. "Die Akteure im gesamten Prozess müssen in die
Lage versetzt werden, miteinander zu kooperieren. Dazu müssen sie
einander aber zunächst einmal verstehen." Das klingt wieder einmal so
selbstverständlich, wie es aber in der Wirklichkeit nicht ist. Sigrid
Wenzel spricht aus Erfahrung. Ein internationales Klientel aus
unterschiedlichen Branchen - von der Automobilindustrie über
Systemlieferanten bis zur Medizintechnik - bedarf einer
unterschiedlichen Ansprache, nutzt unterschiedliche Fachbegriffe und
Vorgehensweisen, besitzt unterschiedliche Systeme und Anlagen und
organisiert unterschiedliche Prozesse. Die Kunst der
Wissenschaftlerin und ihres Teams ist es nun, diese Prozesse immer
wieder und immer weiter zu verbessern, während die Rahmenbedingungen
immer komplexer werden.
Aus dem Umbruch zum Aufbruch: Industrie 4.0
"In einem turbulenten Umfeld mit Schwankungen in den Horizonten,
in denen eine Entwicklung für uns bereits nur bedingt überschaubar
ist, nimmt zudem der Variantenreichtum der Produkte zu, werden die
Produktzyklen kürzer, wächst die Vernetzung zwischen Hersteller und
Zulieferer. Aus 'just in time' wurde 'just in sequence'. Und geht es
einem in der Kette schlecht, dann leiden alle", beschreibt Sigrid
Wenzel die herausfordernde Lage im Abstrakten. Unter dem Stichwort
"Industrie 4.0" diskutiert die Fachwelt daher eine neue industrielle
Revolution, nach der sich die Produktion autonom organisiert und
global optimiert. Neben Zulieferern, Produzenten und Abnehmern
vernetzen sich auch die Fachgebiete wie Produktentwicklung,
Produktion und Verkauf immer mehr miteinander. Der Stellenwert der
Informatik ist nach Einschätzung der Wissenschaftlerin in diesem
Zusammenhang immens gestiegen. Sicherte die Informatik als
Unternehmensabteilung vor kurzer Zeit nur die Bereitstellung und den
Austausch von Daten, sei sie heute in der Unternehmensleitung
angekommen und vertrete dort die Information als
unternehmensstrategischen Faktor. Allerdings, weiß Sigrid Wenzel,
vermag die Informatik eines nicht: die Kommunikationsprobleme zu
lösen, die aus unterschiedlichem Denken, ja sogar aus
unterschiedlichen Sprachen in den einzelnen Unternehmensbereichen
resultieren.
Dank Kommunikation verstehen statt missverstehen
Sigrid Wenzel und ihr Team erleben regelmäßig diese Probleme als
Basis von Missverständnissen, ja sogar von Misstrauen zwischen
Unternehmensbereichen. "So versteht beispielsweise manch ein IT-ler
einen Maschinenbauer nicht und umgekehrt, das ist ganz typisch", sagt
die Hochschullehrerin. Wenn zum Beispiel Produktionsprozesse
verbessert werden sollen, werden bisweilen gigantische Datensätze mit
unendlichen Mess- und Zahlenreihen zur Verfügung gestellt, ohne dass
im Datensatz auch nur eine für die Aufgabe verwendbare Information
enthalten wäre. Trotzdem erscheinen die verschickten Daten für den
Sender völlig plausibel. Er denkt sozusagen die Erläuterungen und
Satzzeichen im Stillen mit. Er weiß, wo die Daten erhoben wurden
(z.B. an einer Zählstelle an einer Maschine) und was sie bedeuten
(z.B. die Anzahl produzierter Teile pro Stunde). Leider vergisst er
oft, genau diese zusätzlichen Informationen mit seinen Daten
mitzuschicken, sodass sein Gegenüber nicht in die Lage versetzt wird,
die Daten passend zu interpretieren."
Eine andere Vorstellung von Echtzeit
Missverständnisse können auch gefährlich werden, wie das Beispiel
"Echtzeit" zeigt. Für Entwickler und Nutzer eines Abrechnungssystems
genügt es, wenn zwei bis fünf Sekunden nach dem Drücken der Taste
"Drucken" das Papier aus dem Drucker surrt. Für die Entwickler der
Sensorik eines Industrieroboters im Produktionsprozess gelten hier
ganz andere Anforderungen. Sollte der Roboter nicht umgehend stoppen,
wenn ein Gegenstand oder eine Person in seinen Arbeitsbereich gerät,
wären die Folgen aufgrund seiner unglaublichen Kraft verheerend.
Die Prozesse erkennen und abgrenzen
Ãœbertragen auf die Forschung der Kasseler Wissenschaftlerin muss
sie zunächst die Frage stellen, welche Prozesse Gegenstand der
Betrachtung sein sollten und mithilfe welcher Kennzahlen diese
bewertet werden sollen. Doch selbst der Begriff "Prozess" wird in den
verschiedenen Branchen unterschiedlich interpretiert. Allgemein ist
damit ein gerichteter Ablauf gemeint, jedoch beschreibt der in der
chemischen Industrie zumeist eine chemische Reaktion, in der IT ein
aktives Programm und in der Produktion eine Folge von
Arbeitsschritten. Sollte die Entwicklung einer Steuerungssoftware für
einen Produktionsprozess in der chemischen Industrie die Aufgabe
sein, sollte der Begriff also klar definiert und in den jeweiligen
Kontext gesetzt werden. "Oft erstellen die Entwicklerteams daher vor
Projektbeginn ein Begriffslexikon, um jedes Missverständnis im
weiteren Projektablauf auszuschließen", berichtet Sigrid Wenzel.
"Führungspersonal muss alle Themen überblicken"
Der Masterstudiengang "Industrielles Produktionsmanagement" soll
seine Teilnehmer und Absolventen in die Lage versetzen, die
Fabrikplanung ganzheitlich zu betrachten. Im Erst-Studium, dessen
Abschluss die Voraussetzung der weiteren Qualifikation ist, haben
sich die Studierenden vielleicht mit Fertigungsverfahren, mit der
Arbeitsplatzgestaltung oder mit ökonomischen Kenngrößen befasst. Das
reicht aber nicht aus, um eine Fabrik zu bauen oder zu leiten. Sigrid
Wenzel zählt fünf Facetten eines großen Ganzen zum Verstehen und
Managen industrieller Prozesse und Systeme auf: Technik, Qualität,
Personal, IT und - last but not least - die Finanzen. "Wer in einer
leitenden Position ist, muss alle Themen im Blick haben und darf die
Produktionsanlage nicht nur aus einer Perspektive sehen", sagt die
Professorin.
Von den Grundlagen bis zur Masterarbeit
Damit dies gelingt, werden die Studierenden in fünf
berufsbegleitenden Semestern mit folgenden Themen vertraut gemacht:
Grundlagen des Industriellen Produktionsmanagements
Prozessmodellierung und Simultaneous Engineering
Total Quality Management
Vorgehensweisen und Methoden zur Planung von Arbeits-, Produktions-
und Logistiksystemen
Werkzeuge für Steuerung und Betrieb
Produktionsnetzwerke und Supply Chain Management Qualitätsmanagement
in Planung und Entwicklung, Produktion und Lieferkette
IT-Systemanalyse und IT-Projektmanagement
Konzepte und Werkzeuge zur Digitalen Fabrik
Das Studium schließt mit einer fachübergreifenden Fallstudie und
einer Masterarbeit ab, die sich an den Fragen des eigenen
Unternehmens orientieren kann. Der Abschluss berechtigt zur
Promotion. Die Absolventen des Masterstudiengangs kommen u.a. aus
den Branchen Automobil- und Sondermaschinenbau, Verzinkerei,
Papierproduktion und der pharmazeutischen Industrie und sind im Alter
zwischen Mitte zwanzig und Mitte vierzig. Die Anstrengungen lohnen
sich. So berichtet der Studierende Ferdinand Marx: "Ich profitiere
schon jetzt fast täglich davon. Wichtige Aspekte des Studiums kann
ich direkt in meine Arbeit einfließen lassen."
Frau Univ.-Prof. Dr.-Ing. Sigrid Wenzel ist geschäftsführende
Direktorin des Institutes für Produktionstechnik und Logistik und
leitet das Fachgebiet Produktionsorganisation und Fabrikplanung an
der Universität Kassel. Sie ist stellvertretende Vorstandsvorsitzende
der ASIM (Arbeitsgemeinschaft Simulation - eine Arbeitsgemeinschaft
im deutschsprachigen Raum zur Förderung und Weiterentwicklung von
Modellbildung und Simulation in Grundlagen und Anwendung sowie zur
Verbesserung der Kommunikation zwischen Theorie und Praxis) und
Sprecherin der ASIM-Fachgruppe "Simulation in Produktion und
Logistik". Zudem bekleidet sie die Positionen der Leiterin des
Fachausschusses 204 "Modellierung und Simulation" und der
stellvertretenden Leiterin des Fachausschusses 205 "Digitale Fabrik"
in der Gesellschaft für Produktion und Logistik im Verein Deutscher
Ingenieure und ist Mitglied im dortigen Fachbeirat "Fabrikplanung und
-betrieb".
Fotos und Bilder finden Sie unter www.unikims.de/presse
Pressekontakt:
UNIKIMS - die Management School der Universität Kassel
Mönchebergstr. 7
34125 Kassel
www.unikims.de
Für die UNIKIMS:
Dr. Jochen Dittmar
Tel. 0561-804-2913
mail dittmar(at)uni-kassel.de
Für den Fachartikel
Prof. Dr.-Ing. Siegrid Wenzel
Tel. 0561-804-1851
mail s.wenzel(at)uni-kassel.de
oder
Ulrich Jessen
Tel. 0561-804-2957
mail: jessen(at)uni-kassel.de