(ots) - Die Demonstranten in Kiew wollen demokratische
Verhältnisse, ohne Vetternwirtschaft und Korruption, visafreies
Reisen in die EU und Einkommen von denen man leben kann. Sie sind
überwiegend friedlich gestimmt. Das zeigten auch ihre selbst
gebastelten Helme aus Kochtöpfen und anderem Küchengerät, mit denen
sie am Sonntag auf dem Maidan, dem zentralen Platz in Kiew, gegen die
vom Parlament beschlossene Verschärfung des Demonstrationsrechtes
demonstrierten. Es wäre jedoch übertrieben, die Verschärfungen des
Demonstrationsrechtes als Zeichen einer Diktatur zu deuten, wie es
manche westliche Kommentatoren tun. Auch in westlichen Hauptstädten
kann man nicht ohne Genehmigung Bühnen und Zelte auf öffentlichen
Plätzen aufbauen oder tagelang straflos öffentliche Gebäude
blockieren. Dass Janukowitsch den Assoziierungsvertrag mit der EU auf
Eis gelegt hat und einen Milliarden-Kredit aus Moskau bekommen hat,
mag manchen ärgern, macht den ukrainischen Präsidenten aber noch
nicht zum Diktator. Janukowitsch hat zwar nicht die Westukraine, aber
einen Großteil der Bevölkerung in der Ost- und Südukraine hinter
sich. An dieser Tatsache ändern auch die großen Kundgebungen in Kiew
nichts. Für Brüssel und Berlin gibt es jetzt Handlungsbedarf. Denn
wenn die gleichen Demonstranten, die Polizisten mit Molotow-Cocktails
bewerfen, sie am Boden liegend mit Knüppeln traktieren und - wie in
der Nacht auf Montag geschehen - sogar einen Polizisten gefangen
nehmen, hat das nichts mit europäischen Werten zu tun. Wenn
gewalttätige Demonstranten neben den schwarz-roten Fahnen der in der
Westukraine beheimateten rechtsextremen Organisation UNA-UNSO auch
große EU-Fahnen schwenken, so ist spätestens jetzt für die Politiker
der EU der Zeitpunkt gekommen, um vor der ukrainischen Bevölkerung
einmal klar zu machen, dass der Zweck - der Sturz von Janukowitsch -
nicht die Mittel heiligen kann. Es gehört zur traurigen Realität der
postsowjetischen Staaten, dass radikale Straßenproteste oft eher
nationalistisch als links und demokratisch sind. Die EU hat schon
genug Probleme mit eigenen nationalistischen Parteien. Sie braucht
nicht noch mehr Nationalismus, wie ihn die rechtsextreme Partei
Swoboda (Freiheit) und ihr Führer Oleg Tjagnibok vertreten, der im
Juli 2004 vor seinen Anhängern gegen eine "jüdische Moskauer Mafia"
hetzte, welche die Ukraine angeblich regiert. Die EU braucht eine
demokratische Ukraine als Partner. Und das muss auch einmal
öffentlich so gesagt werden. Mit den Kiewer Gewalt-Exzessen von
Sonntagnacht wird die EU nun kalt erwischt. Im Dezember besuchten
viele europäische Spitzenpolitiker den Maidan, den von Demonstranten
besetzten Platz in Kiew. Auch der ehemalige deutsche Außenminister
Guido Westerwelle und die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton ließen
sich von Vitali Klitschko über den Platz führen. Doch keiner der
europäischen Politiker, die seit Dezember in der Ukraine waren, hat
sich öffentlich von Tjagnibok und seinen gewaltbereiten Fußvolk
abgegrenzt oder zumindest ermahnende Worte geäußert. Dass nun die
behelmten Sturmtruppen der Partei Swoboda, die bis 2004 noch
"Sozial-nationale Partei der Ukraine" hieß, mit Molotow-Cocktails,
Steinen und Knüppeln gegen Polizisten - als Vertreter des verhassten
Moskau-freundlichen Establishments - kämpfen, kommt für Kenner der
Ukraine nicht überraschend. Die offenbar gut vorbereiteten
Gewalt-Exzesse zielen auf Destabilisierung und Chaos. Doch das nützt
weder den Ukrainern noch Europa.
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