(ots) - Regierungen wechseln in Italien beinahe so
häufig wie die Jahreszeiten. Mario Monti war 17 Monate
Ministerpräsident, sein Nachfolger Enrico Letta zehn Monate. Jetzt
ist Matteo Renzi, der respektlose Bürgermeister von Florenz, an der
Reihe, der seinen Vorgänger Letta in einem parteiinternen Putsch aus
dem Amt gejagt hat. In den kommenden Tagen wird ihm Staatspräsident
Giorgio Napolitano das Mandat zur Bildung einer Regierung erteilen.
Monti und Letta gewannen als seriöse Politikertypen schnell das
Vertrauen der wichtigsten EU-Partner. Die Italiener begeisterten sie
nicht. Beim unverschämten Renzi ist es andersherum. Bei seinen
Landsleuten kommt er an. International ist er ein unbeschriebenes
Blatt. Der Verdacht liegt nahe, hier profiliere sich mal wieder einer
auf Kosten der Italiener. Doch Renzi verdient eine Chance. Seit sich
der erst 39 Jahre alte Bürgermeister in den Ring der nationalen
Politik begeben hat, setzt er zwar vor allem eine Duftmarke:
Respektlosigkeit. Diese Chuzpe war auch in der Auseinandersetzung mit
seinem Parteifreund Letta zu beobachten. Erst versicherte der neu
gewählte Sekretär der Demokratischen Partei (PD) dem Premier, er habe
es nicht auf seinen Job abgesehen. Kurz darauf zwang er ihn mit einem
Votum des höchsten Parteigremiums aus dem Amt. Das war stillos. Für
Renzi ist Stil allerdings eine zu vernachlässigende Kategorie. Das
kann man ihm übelnehmen. Der positive Aspekt dieser Respektlosigkeit
ist aber, dass Renzi sie auch den verkrusteten Strukturen in Italien
entgegenbringt. Nun muss er zeigen, dass sein Mantra von der
"Verschrottung" der bisherigen Politikerklasse auch für die
italienischen Unzulänglichkeiten gilt und er es ernst meint mit dem
Abbau der Bürokratie, mit der Reform des Arbeitsmarkts und der Reform
der Institutionen. Seine große Chance ist die Geschwindigkeit, mit
der er sich durch die italienischen Institutionen bewegt. Erst im
Dezember wurde der Kommunalpolitiker von knapp drei Millionen
Italienern mit Dreiviertelmehrheit zum Vorsitzenden der größten
Mitte-Links-Partei Italiens gewählt. Jetzt wird er Ministerpräsident.
Ein so rascher Aufstieg ist beispiellos in der italienischen
Geschichte. Natürlich birgt der kometenhafte Aufstieg auch Risiken.
Doch die Geschwindigkeit, mit der sich Renzi bewegt, ist sein Trumpf.
Er verfügt wegen seines unkonventionellen, jugendlichen Auftretens
und wegen seiner Respektlosigkeit gegenüber den Institutionen über
großen Rückhalt in der Bevölkerung. Auch die Italiener haben schon
lange den Respekt vor den Institutionen und ihren Vertretern
verloren. Sie lassen sich rasch von Kräften einnehmen, die sich als
Fremdlinge im politischen Betrieb verkaufen. Die Beispiele des
Ex-Komikers Beppe Grillo und seiner 5-Sterne-Bewegung, aber auch von
Silvio Berlusconi belegen dies. Seriös auftretende Verwalter wie
Monti oder Letta haben in Italien keine Chance. Zu hoffen ist, dass
Renzi seinen Schwung auch für die notwendigen Reformen nutzen kann.
Auch konservative Parteien reagieren mit Neugier auf den Neuen aus
der Toskana. Niemandem in Italien wird so viel zugetraut wie dem
Bürgermeister von Florenz. Diesen Bonus an Vertrauen kann Renzi gut
gebrauchen. Er ist im Moment der einzige italienische Politiker, der
noch Opfer von der resignierten Menge verlangen kann. Für Renzi
spricht aber vor allem, dass er fertiggebracht hat, was seinen
Vorgängern seit knapp zehn Jahren nicht gelungen ist. Er hat in
wenigen Wochen einen Reformkompromiss für eine Änderung des
Wahlrechts und der Umwandlung der zweiten Parlamentskammer zustande
gebracht. Dass dieser Kompromiss, der sobald wie möglich vom
Parlament verabschiedet werden muss, mit Silvio Berlusconi zustande
kam, hat viele auf Seiten der Linken verärgert. Auch für solche
Empfindlichkeiten hat Renzi keinen Respekt.
Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten(at)mittelbayerische.de