(ots) - Nach zwölf Jahren internationalen Engagements
haben viele Afghanen keinen Zugang zu ausreichender
Gesundheitsversorgung. Das geht aus einem am Dienstag
veröffentlichten Bericht der Hilfsorganisation Ärzte ohne Grenzen
hervor, für den hunderte Patienten befragt wurden. Die Aussagen
belegen, dass oft Gesundheitseinrichtungen nur auf dem Papier
existieren, aber in der Praxis nicht angemessen funktionieren.
"Jeder fünfte befragte Patient hat uns berichtet, dass ein
Familienangehöriger oder ein enger Freund im vergangenen Jahr
gestorben ist, weil er nicht rechtzeitig medizinische Hilfe bekommen
hat", erklärt Christopher Stokes, Geschäftsführer von Ärzte ohne
Grenzen in Belgien, von wo aus die Projekte in Afghanistan
koordiniert werden. "Von denen, die unsere Krankenhäuser erreicht
haben, berichten 40 Prozent von Kämpfen, Minen, zeitraubenden
Checkpoints oder Bedrohungen auf dem Weg in die Klinik."
Für den Bericht haben Mitarbeiter von Ärzte ohne Grenzen mehr als
800 Patienten in den vier Krankenhäusern, in denen Ärzte ohne Grenzen
arbeitet, befragt. Die Kliniken befinden sich in den Provinzen Kabul,
Kundus, Khost und Helmand. Der Bericht beschreibt die großen - und
oft tödlichen - Risiken, die Afghanen eingehen müssen, um
medizinische Hilfe zu erhalten. Auch wenn in den vergangenen zwölf
Jahren Fortschritte bei der Gesundheitsversorgung erzielt wurden, ist
die Realität weit von einer Erfolgsgeschichte entfernt.
Mehr als die Hälfte der Befragten gab an, dass sie die
nächstgelegene Gesundheitseinrichtung nicht erreichen oder dort nicht
angemessen behandelt werden konnten. Sie mussten deshalb weit längere
Distanzen zurücklegen - was das Risiko und die Kosten vergrößerte.
"Die Menschen berichteten von Kliniken ohne Medikamente,
qualifiziertes Personal und Elektrizität. Viele machen Schulden, um
die Behandlung bezahlen zu können", erklärt Stokes.
Eine 28-jährige Frau aus der Provinz Khost erzählte bei der
Befragung: "Eine Schwangere aus meinem Dorf hatte Komplikationen und
musste ins Krankenhaus. Doch es gab Kämpfe und wir konnten sie nicht
hinbringen. Sie ist in dieser Nacht gestorben - und ihr Baby auch."
Ein 50-Jähriger Mann aus der Provinz Kapisa sagte: "Wir können auch
schwer Kranke nachts nicht zum Arzt bringen. Wir würden auf der
Straße getötet werden. Manchmal wünscht man sich fast, dass sie
schnell sterben, bevor sie die ganze Nacht leiden, um dann auf dem
Weg in die Klinik zu sterben." Ein 48-jähriger Bauer aus der Provinz
Kundus sagte: "Wir sind zwischen den verschiedenen Parteien gefangen.
Wir müssen uns für eine Seite entscheiden. Die eine Hälfte
unterstützt die Regierung, die andere Hälfte die Taliban. Wer
dazwischen steht, überlebt nicht."
In den vergangenen zwölf Jahren richteten die Regierungen der am
Konflikt beteiligten Länder ihre Hilfe in Afghanistan zu oft an
politischen Strategien zur Aufstandsbekämpfung aus - oder daran, die
Unterstützung der Bevölkerung für den Militäreinsatz zu bekommen. Die
Hilfe muss sich stattdessen an der Not der Bedürftigsten orientieren.
Internationale Geber, Hilfsorganisationen und afghanische Behörden
müssen dringend die gravierenden Mängel in der Gesundheitsversorgung
angehen und die Sorge um die Menschen vor alles andere stellen.
Humanitäre Hilfe darf nicht mehr für politische und militärische
Zwecke missbraucht werden.
Ärzte ohne Grenzen ist in Krankenhäusern in Kabul, Kundus, Lashkar
Gah und Khost tätig. In allen Einrichtungen ist die medizinische
Behandlung von Ärzte ohne Grenzen kostenlos. Die Projekte in
Afghanistan werden ausschließlich aus privaten Spenden finanziert.
Die Organisation nimmt dafür keine staatlichen Gelder an.
Pressekontakt:
Der Bericht "Between Rhetoric and Reality: The Ongoing Struggle to
Access Healthcare in Afghanistan" kann ab 5:30 Uhr unter folgendem
Link heruntergeladen werden:
www.aerzte-ohne-grenzen.de/sites/germany/files/attachments/msf_afghan
istan_report_final.pdf
Interviews mit Frank Dörner, Geschäftsführer von Ärzte ohne Grenzen
in Deutschland, sind möglich.
Videomaterial und Fotos können unter folgendem Link heruntergeladen
werden:
ftp://fotos:uzetan85(at)217.110.40.18/2014-Afghanistan
Die Fotos können unter Angabe des Copyrights (Andrea Bruce/Noor bzw.
Mikhail Galustov - ohne weitere Zusätze) im Zusammenhang mit der
aktuellen Berichterstattung über Ärzte ohne Grenzen kostenlos
verwendet werden. Keine Archivierung, keine Weiterverbreitung!
Kontakt: Stefan Dold, 030/700130-239, stefan.dold(at)berlin.msf.org;
Sylvie Ahrens, 030/700130-240; sylvie.ahrens(at)berlin.msf.org;
www.aerzte-ohne-grenzen.de