(ots) - Offenheit
Raimund Neuß zum Meisner-Rücktritt
Dieser 28. Februar wird in die Geschichte nicht nur des Erzbistums
Köln eingehen. Mit Joachim Kardinal Meisner geht ein Bischof in den
Ruhestand, der das Bild der katholischen Kirche in unserem Land
geprägt hat wie kaum jemand sonst: Integrationsfigur für seine
Anhänger, Hassgestalt für manche seiner Gegner.
Stellen wir uns vor, Meisner wäre vor 25 Jahren nicht nach Köln
berufen worden. Auch dann bliebe er als bedeutende Bischofsgestalt in
Erinnerung, als großer Wortführer gegen die kommunistische Diktatur.
Wie sehr ihn diese Frontstellung geprägt hat, wurde beim
Eucharistischen Kongress in Köln deutlich. Er sprach mit einem Pathos
über die gottgeweihte Erde Deutschlands, wie man es bisher nur aus
Karol Wojtylas Predigten gegen die Sowjetherrschaft über Polens Erde
kannte
Da die, hier wir - für Meisner offensichtlich eine Grunderfahrung.
Bei aller breitenwirksamen Begeisterung für kölsche Folklore konnte
er sich nur bei einer Elite glaubensfester Anhänger richtig
verstanden fühlen. Dort stießen Positionen wie der Vergleich
christlicher und muslimischer Familien nicht auf das an sich zu
erwartende Befremden.
Aber was ist mit der Lebenswirklichkeit außerhalb solcher Zirkel
spiritueller Intimität? Jahrzehntelang hat die katholische Kirche mit
Erfolg Inkulturation, Einfügung in die Kulturen der südlichen
Erdhalbkugel betrieben. Was fehlt und was die Aufgabe des neuen
Erzbischofs in der Beinahe-Weltstadt Köln sein muss, ist:
Inkulturation in den Westen. Das bedeutet nicht Preisgabe
christlicher Grundwerte, aber Offenheit für die Frage, ob etwa jede
der peinlich genauen Katechismus-Bestimmungen über sexuelle
Verhaltensweisen solche Grundwerte berührt. Der neue Mann in Köln
sollte ebenso wenig wie Papst Franziskus davor Angst haben, durch
Berührung mit der Realität "verletzt und schmutzig" zu werden. Ganz
selten, etwa im Fall der "Pille danach", hat auch Meisner solche
Offenheit gezeigt. Beim Ausstieg aus der Schwangerenberatung war das
Gegenteil der Fall.
Es gibt noch andere Aufgaben. Solche, an denen sich gerade in
Berlin Rainer Kardinal Woelki - ein Wunschkandidat des Kirchenvolks
für die Meisner-Nachfolge - die Zähne ausbeißt: Seelsorge in Zeiten
des Priestermangels zu organisieren. Meisner hat unbequeme
Entscheidungen darüber nicht seinem Nachfolger überlassen, sondern
noch selbst getroffen. Geprägt sind solche Reformen, ob in Köln oder
in noch stärkerem Maße jetzt in Woelkis Berlin, von der Romantik der
Diaspora. Offenheit für neue, von Laien getragene Gottesdienstformen
besteht kaum. Die wirklich Gläubigen werden ihren Priester schon
finden.
Auch hier ist zu fragen: Ist das der rechte Weg in unserer Zeit?
Für Meisners Nachfolger liegen hier vielleicht noch größere
Herausforderungen bereit als beim Thema Familie und Sexualität, bei
dem sich ja ohnehin von Rom aus Reformen abzeichnen.
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Kölnische Rundschau
Engelbert Greis
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