(firmenpresse) - Wenn die Berufung ans falsche Gericht adressiert ist
Ein Rechtsanwalt darf zwar darauf vertrauen, dass seine Büroangestellte konkrete Einzelanweisungen befolgt, er muss eine Berufungsschrift aber vor Unterschriftsleistung gründlich prüfen, wenn er weiß, dass eine falsch adressierte Version vom selben Tag existiert. Dies hat der Bundesgerichtshof in einem Beschluss vom 19. Juli 2012 (AZ: V ZR 255/11) entschieden.
In dem der Entscheidung zu Grunde liegenden Fall hatte ein Rechtsanwalt am letzten Tag der Berufungsfrist irrtümlicherweise beim Landgericht Leipzig und nicht beim zuständigen Landgericht Dresden Berufung eingelegt. Seinen eigentlichen Irrtum hatte er vor Versendung noch rechtzeitig erkannt und die Büroangestellte angewiesen, die Adresse zu ändern und den fehlerhaft adressierten Schriftsatz zu vernichten. Als er den Berufungsschriftsatz anschließend erneut unterzeichnete, prüfte er die Adresse nicht erneut. Die Mitarbeiterin faxte versehentlich den ursprünglichen Schriftsatz an das unzuständige Landgericht Leipzig. Später nahm der Anwalt vor dem Landgericht Leipzig die Berufung zurück und beantragte in Dresden Wiedereinsetzung in die versäumte Frist zur Berufungseinlegung. Das Landgericht Dresden lehnte den Antrag ab.
Der Bundesgerichtshof bestätigte die Entscheidung des LG Dresden. Ein Rechtsanwalt dürfe zwar grundsätzlich darauf vertrauen, dass eine Mitarbeiterin, die sich bisher als zuverlässig erwiesen habe, eine konkrete Einzelanweisung befolge. Im konkreten Einzelfall hätten aber besondere Umstände vorgelegen, die den Anwalt zu einer nochmaligen Kontrolle der (vermeintlich) korrigierten Berufungsschrift hinsichtlich der Adresse hätten veranlassen müssen.
Die BGH-Entscheidung konkretisiert die Sorgfaltspflichten eines Rechtsanwalts im Umgang mit prozessualen Fristen und Büropersonal. Auch wenn den Anwalt grundsätzlich im Falle einer Fristversäumung kein Verschulden trifft, wenn er einer ansonsten zuverlässigen Mitarbeiterin eine konkrete Einzelanweisung erteilt hat, die dann missachtet wird, kann sich unter besonderen Umständen etwas Anderes ergeben. In dem zu entscheidenden Fall lagen für den Bundesgerichtshof besondere Umstände vor, die ein Vertrauen des Anwalts in die Ausführung seiner Weisung, die korrigierte Berufungsschrift an das zuständige Gericht zu faxen, ausnahmsweise nicht erlaubten. Hier wäre der Anwalt aber zu einer besonderen Kontrolle verpflichtet gewesen, weil ihm bekannt war, dass er kurz zuvor einen an das falsche Gericht adressierten Berufungsschriftsatz unterzeichnet hatte, er also wusste, dass ein fehlerhafter Schriftsatz in der Welt war. Daher reichte es nicht aus, dass er bei Unterzeichnung der Abschriften seine Kanzleiangestellte fragte, ob es sich um den "richtigen" Berufungsschriftsatz handle. Gerade aufgrund der Vorgeschichte bestand Anlass, einen Blick auf das Adressfeld zu werfen. Indem der Anwalt diese naheliegende Prüfung unterlassen hat, hat er schuldhaft zur Fristversäumung beigetragen. Bei entsprechender Kontrolle wäre der Fehler sofort aufgefallen, und es hätte sich aufgedrängt, der Frage nachzugehen, ob die Kanzleiangestellte tatsächlich die zuvor erteilte Weisung befolgt und den "richtigen" Schriftsatz an das zuständige Gericht gefaxt hatte.
Zwar ging es in dem konkreten Fall nicht um die Haftung des Anwalts für die festgestellte Pflichtverletzung. Die Entscheidung des BGH beschreibt aber sehr genau die Pflichten des Anwalts, der, würden nun von seinem ehemaligen Mandanten Schadenersatzansprüche gegen ihn geltend gemacht, unter dem Gesichtspunkt der Anwaltshaftung zu Schadenersatz verurteilt würde.
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