(ots) - Das Angebot des Übergangspräsidenten Alexander
Turtschinow, ein Referendum über den künftigen Staatsaufbau der
Ukraine abzuhalten, ist aus zwei Gründen ein kluger Schachzug. Zum
einen raubt er den Separatisten im Osten des Landes ein
Scheinargument. Eine Volksabstimmung ist schließlich das erklärte
Ziel der prorussischen Gewalttäter. Turtschinow zwingt sie nun zu
einem Offenbarungseid. Ob die Separatisten Interesse an einem echten,
demokratischen Referendum haben, darf allerdings bezweifelt werden.
Alle Umfrage belegen, dass die Bevölkerung auch in der Ostukraine
vieles will - nur keinen Anschluss an Russland. Darauf jedoch liefe
eine "Föderalisierung" nach dem Muster der Krim hinaus, wie es den
Gebäudebesetzern in Donezk, Lugansk und anderswo vorschwebt. Die
Waffen werden die Separatisten also kaum freiwillig strecken. Klug
ist der Turtschinow-Vorstoß dennoch, und zwar vor allem deshalb, weil
es in der gesamten Ukraine ein Verlangen danach gibt, der
Zentralregierung die Kompetenzen zusammenzustreichen. Die Machtfülle
all jener, die in den vergangenen 23 Jahren der Unabhängigkeit in
Kiew das Sagen hatten, hat einen von Korruption durchseuchten
Staatapparat geschaffen. Genau dagegen richtet sich der Unmut fast
aller Ukrainer - ganz gleich, ob in Ost oder West, ob proeuropäisch
oder prorussisch. Ein Referendum könnte zumindest helfen, die
Menschen mit ihrem Staat zu versöhnen. Es müsste allerdings nach
demokratischen Spielregeln ablaufen und damit grundsätzlich anders
als die manipulierte Abstimmungsfarce auf der Krim. Das allerdings
ist nicht im Sinne Moskaus, wie die aktuellen Ereignisse fast täglich
belegen. Im Gegenteil: Der Kreml lässt auch kurz vor der für
Donnerstag geplanten Ukraine-Konferenz in Genf nicht locker . Moskau
schickt immer mehr paramilitärische Kämpfer in den Osten des
krisengeschüttelten Landes. Dabei ist die Dreistigkeit kaum noch zu
überbieten, mit der Außenminister Sergei Lawrow behauptet, die
russische Regierung habe mit den separatistischen Gewaltaktionen in
der Ostukraine nichts zu tun. Die Ausrüstung und das gezielte,
koordinierte Vorgehen der Angreifer in Donezk, Lugansk und zuletzt in
Slawjansk sprechen eine eindeutige Sprache: Der Kreml steht hinter
den Kommandoaktionen, die fast nach dem gleichen Drehbuch ablaufen
wie die Eroberung der Krim Anfang März. Zugleich warnt Lawrow, das
Sprachrohr von Wladimir Putin, die Interimsregierung in Kiew vor dem
Einsatz von Gewalt gegen die Separatisten. Es ist wie bei einem
brutalen Schläger, der einem nahezu wehrlosen Gegner Fausthiebe
versetzt und ihm nebenbei zuruft, er möge endlich mit der Prügelei
aufhören. Das ist feige, hinterhältig und zynisch. Politisch
bedeutsamer ist, dass Moskau mit seinem Gewaltexport den Boden für
eine mögliche Intervention seiner regulären Soldaten bereitet, die an
der Grenze in voller Einsatzbereitschaft warten. Doch selbst wenn die
russische Führung am Ende darauf verzichten sollte, Truppen statt
camouflierter Kämpfer in die Ukraine zu schicken, handelt es sich um
einen Akt der Aggression. Für die Regierung in Kiew und auch für den
Westen ist es in dieser Situation extrem schwierig, das richtige Maß
aus Härte und Dialogbereitschaft zu finden. Am Ende hängt aber
ohnehin alles von Putin ab. Will er die Invasion, wird er Gründe
dafür finden. Der Westen, der sich zu militärischer Zurückhaltung
bekannt hat, wird das im Zweifel hinnehmen (müssen). Eines ist aber
auch klar: Mit jeder neuen Gewaltaktion, die der Kreml in seinem
Nachbarland orchestriert, verspielt das Putin-Regime weltweit Kredit.
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