(ots) - Selten waren die Friedensappelle der Kirchen
und der Menschen, die an den Ostermärschen in Deutschland teilnahmen,
so angebracht wie in diesem Jahr: 100 Jahre nach Ausbruch des Ersten
und 75 Jahre nach Beginn des Zweiten Weltkriegs - und noch dazu in
einer Zeit, in der in der Ukraine ein Bürgerkrieg droht. Ganz
abgesehen davon, dass in Syrien das Assad-Regime weiter ungehindert
mordet und foltert und einer ganzen Generation ihre Zukunft raubt.
Die Appelle für Frieden sind auch deswegen umso wichtiger, als sich
immer deutlicher zeigt, dass es trotz der Erfahrungen der Weltkriege
immer noch möglich ist, Menschen gegeneinander aufzuhetzen, indem man
die nationale Karte spielt. Der Nationalismus in Europa war nie
verschwunden. Er manifestierte sich in den
Unabhängigkeitsbestrebungen des Baskenlandes oder Südtirols. Er
zeigte sein gesamtes brutales Potenzial in den Balkankriegen der
1990er. In Herbst dieses Jahres wird in Schottland darüber
abgestimmt, ob die Menschen dort Teil des Vereinigten Königreiches
bleiben wollen oder ihre Zukunft in einem unabhängigen Staat sehen.
Aktuell zeigt der Konflikt in der Ukraine, wie stark nationalistische
Tendenzen sein können: Sie drohen ein Land zu zerreißen oder
zumindest für unbestimmte Zeit in die politische Handlungsfähigkeit
zu stoßen. Die Re-Nationalisierungstendenzen lassen sich aber auch
ohne große oder schwelende Konflikte erkennen: bei der anstehenden
Europawahl. Kaum ein Thema treibt die Volksparteien so um wie ein
möglicher Erfolg der Parteien am rechten Rand - umso mehr, da das
Verfassungsgericht in Karlsruhe die Drei-Prozent-Hürde gekippt hat.
Die Forderungen der Rechten sind dabei vor allem anti-europäisch. Sie
verlangen, wie die AfD, eine Abkehr von der Gemeinschaftswährung. Sie
wollen Kompetenzen aus Brüssel zurück in die Mitgliedsstaaten
verlagern. Im Rennen um die Wählerstimmen und aus berechtigter Angst
vor einer Zerfaserung des Europaparlaments an den Rändern laufen die
Volksparteien den Rechten hinterher. Man kann argumentieren, dass
nicht alles, was möglich ist, in Brüssel entschieden werden muss.
Dass sehr wohl die Mitgliedsstaaten selbst am besten wissen, was für
ihre Bürger richtig und sinnvoll ist. Spinnt man diesen Gedanken
weiter, bedeutet er aber nichts anderes als das Ende der europäischen
Idee als solcher. Sie entstand aus der Erfahrung dessen, was
geschehen kann, wenn übersteigerte nationale Interessen miteinander
kollidieren. Europa war über Jahrhunderte definiert durch das
Aufeinanderprallen verschiedener Machtinteressen. Die Europäische
Gemeinschaft und später die Europäische Union sollte genau das
verhindern helfen. Und das tat und tut sie bis heute. Die Beschlüsse
von Genf, mit denen der Konflikt in der Ukraine entschärft werden
soll, ist auch ein Erfolg der EU, die mit am Tisch saß. Wer heute,
100 Jahre nach der "Urkatastrophe" des 20. Jahrhunderts, die
nationale Karte einsetzt, spielt mit dem Feuer. Dazu braucht es nur
einen Blick in die Ostukraine und auf die teilweise hysterisch
geführte Debatte darüber, ob der Westen und die westlichen Medien am
Ende Kriegspropaganda betreiben. Wer in Europa gegen Minderheiten
hetzt, gegen Brüssel schimpft und eine weitergehende europäische
Einigung infrage stellt oder boykottiert, betreibt eine
rückwärtsgerichtete Politik. Wenn die Menschen in Europa eines
gelernt haben sollten, dann dass ihre Zukunft nicht in der
Kleinstaaterei und der Re-Nationalisierung liegen kann. In einer
globalisierten Welt mögen nationale Befindlichkeiten ein wärmendes
Feuer sein, an dem man seine Ängste beruhigt und seinen nostalgischen
Gefühlen nachhängt. Nationale Befindlichkeiten sind aber auch
Brandbeschleuniger, die von anderen Staaten leicht für ihre Zwecke
instrumentalisiert werden können.
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