(ots) - Der mehr als grenzwertige
"Wer-betrügt-der-Fliegt"-Slogan für Bulgaren und Rumänen wurde bei
der CSU-Klausur am Heiligen Berg von Andechs in offiziellen
Statements nicht mehr in den Mund genommen. Der griffige Satz,
gedacht als Warnung vor einer Zuwanderung in die deutschen
Sozialsysteme, ist der Partei zuletzt bei Unregelmäßigkeiten in den
eigenen Reihen zu Recht um die Ohren geflogen. Nichtsdestotrotz hat
die plakative Debatte vom Jahresanfang am Ende etwas Positives
bewirkt: Der Staatssekretärsausschuss in Berlin, von der großen
Koalition zur Besänftigung der CSU eingesetzt, hat kürzlich in seinem
Zwischenbericht Städte benannt, ihn denen es tatsächlich
Schwierigkeiten gibt und zusätzliche staatliche Hilfen in Aussicht
gestellt. Auch einige rechtliche Lücken werden nicht bestritten. Vier
Wochen vor der Europawahl hat die CSU nach all dem Lärmen also etwas
vorzuweisen. Auch wenn kurioserweise wohl vor allem Städte außerhalb
Bayerns die Nutznießer von Verbesserungen sein werden. Die Probleme
in Duisburg, Dortmund und Berlin-Neukölln sind insgesamt betrachtet
größer, als in München, Nürnberg oder Regensburg. Ein schaler
Beigeschmack bleibt. Natürlich ist die Freizügigkeit in der EU nicht
als Freibrief gedacht, wegen besserer Sozialleistungen nach
Deutschland oder andere wohlhabende EU-Länder zu strömen. Wer das
tut, macht es jedoch - abgesehen von kriminellen Ausnahmen - aus
elender Not heraus. Es sollten also die eigentlichen Täter in den
Fokus genommen werden: Politiker in den Herkunftsländern, die ihren
Job so schlecht machen, dass ihren Bürgern die Abwanderung als
einzige Lösung erscheint. Die Wer-betrügt-der-fliegt-Debatte eignet
sich als Musterbeispiel für den politischen Wettstreit im
Europawahlkampf: Nur Parteien, die lautstark agieren und Emotionen
ansprechen, werden überhaupt wahrgenommen. Die CSU beherrscht dies
aus dem Effeff. Auch die Maut für Ausländer war so ein Erfolgsmodell
vom Fließband der Parteistrategen. Da die CSU als Regierungspartei
aber daran gemessen wird, was am Ende des Tages umgesetzt wird, kann
sie es wenigstens bei zentralen Forderungen nicht bei flotten
Sprüchen bewenden lassen. Wähler haben ein Langzeitgedächtnis und
würden die Partei bei nächster Gelegenheit abstrafen. Wobei der
CSU-Europaplan natürlich dennoch eine Reihe von Luftnummern enthält.
Wer würde etwa eine Wette abschließen, dass die EU-Kommission
demnächst mit nur halb so viel Kommissaren auskommt? Es ist
allerdings zumindest ein Wunsch, den man verfolgen kann. Das
unterscheidet die CSU von populistischen Parteien wie der Alternative
für Deutschland, die beim Thema Europa nur Zeter und Mordio schreien
und nach dem 25. Mai zum Glück nicht in die Verlegenheit kommen,
wirklich Weichen stellen zu können. Sie würden Europa in
Turbogeschwindigkeit komplett an die Wand fahren. Dennoch ist es das
Laute und - noch bedauerlicher - das Platte, das im Wahlkampf das
meiste Gehör findet. Die EU als Garant für Frieden und Wohlstand in
Deutschland? Das gilt als Selbstverständlichkeit, trotz Ukraine-Krise
vor der Haustür. Verrückte Welt: Für weit mehr Aufregung sorgen
Öko-Verordnungen für Kaffeemaschinen, mit denen die EU den
stromfressenden Stand-by-Modus limitieren will, was nebenbei jedem
spürbar weniger Stromkosten bescheren würde. Doch es wird sich
entrüstet, als käme morgen bei jedem ein EU-Kommissar höchstselbst
vorbei, um alte Kaffeemaschinen zu konfiszieren. Wichtige Themen im
Europawahlkampf sollten andere sein: Die Gefahren für die Ukraine,
das Wohlstandsgefälle in der EU. Und ein paar Visionen wären nicht
schlecht: Wie will sich Europa bei sinkenden Bevölkerungszahlen in
der Welt von morgen behaupten? Für welche unverrückbaren Positionen
stehen wir - und für welche Ideale? Länder, die der EU neu beitreten
wollen, hätten dann auch gleich ihre automatische Antwort: Sie
wüssten, wie gut sie wirklich in diese Gemeinschaft passen.
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