(ots) - Die westlichen OSZE-Beobachter sind frei. Das
war am Wochenende die einzige gute Nachricht, die aus der Ukraine zu
vermelden war. Die prorussischen Separatisten in Slawjansk ließen
ihre Geiseln ohne sichtbare Gegenleistung ziehen. Der Rest war wieder
Hass und Gewalt. Nicht unwahrscheinlich ist, dass beides in einem
Zusammenhang steht. So zynisch es klingt: Die Geiselnahme hatte
phasenweise für eine angespannte Ruhe in der Ostukraine gesorgt. Das
aber konnte nicht im Interesse der Separatisten sein und erst recht
nicht im Sinne des Kremls, der im Hintergrund die Fäden zieht. Das
zentrale Nahziel der russischen Führung ist es, die für 25. Mai
geplante Präsidentenwahl zu sabotieren, die dem Land im besten Fall
Stabilisierung bringen könnte. Mit der Freilassung der
OSZE-Beobachter hat Moskau zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen.
Zum einen kann sich der russische Präsident Wladimir Putin öffentlich
als Geiselbefreier und Friedensengel präsentieren. Zum anderen wird
in der Ostukraine nun wieder heftiger gekämpft - und das Chaos spielt
allein Moskau in die Hände. Man mache sich nichts vor: Es war eine
reine Schauveranstaltung, zu der Putin seinen Vertrauten Wladimir
Lukin auf eine ach so heikle Mission nach Slawjansk schickte. In
Wirklichkeit zeigte die "Befreiungsaktion", dass der Kreml die
Separatisten steuert. Den letzten Beleg dafür lieferten abgehörte
Telefongespräche der "Verhandlungspartner". Umso unverständlicher ist
das Vorgehen der ukrainischen Interimsregierung, die ihrerseits unter
entscheidendem Einfluss des Westens steht. Militär und Nationalgarde
verstärkten am Wochenende noch einmal ihre sogenannte
Anti-Terror-Aktion. Wer darin einen Sinn sucht, muss lange forschen,
um fündig zu werden. Möglicherweise möchte die Zentralmacht
verhindern, dass die Separatisten wie geplant am 11. Mai Referenden
über die Abspaltung ihrer Regionen vom Rest der Ukraine abhalten
können. Die Angst vor einem Krim-Szenario ist groß. Auf der Halbinsel
folgte auf die Ausrufung der Unabhängigkeit und ein manipuliertes
Referendum die sofortige Annexion durch Russland. Allerdings ist die
Ostukraine nicht die Krim. Das weitläufige Gebiet zwischen Charkiw
und Donezk bis hinüber in den Süden nach Odessa ist für Russland ohne
massiven eigenen Truppeneinsatz nicht zu kontrollieren. Außerdem
steht die Stimmung der Bevölkerung einem Anschluss an Moskau
entgegen. In dieser Situation sind die Militäroperationen der
Interimsregierung völlig kontraproduktiv. Mit jedem Tag, den die
Offensive andauert, mindert sie die Hoffnung auf eine reguläre Wahl
am 25. Mai. Es gilt das alte Bibelwort: Wer Wind sät, wird Sturm
ernten. Hass und Gewalt provozieren Hass und Gewalt. Es entsteht eine
Eskalationsspirale, die im schlimmsten Fall in den Bürgerkrieg führt.
Was passieren kann, wenn es nicht gelingt, die Gewalt einzudämmen,
zeigte der Hassausbruch im zuvor weitgehend friedlichen Odessa. Dort
gingen am Freitag nationalistische ukrainische Fußball-Hooligans und
prorussische Randalierer aufeinander los. Letztere verschanzten sich
im Gewerkschaftshaus, das Feuer fing. Es starben Dutzende Menschen.
Wer den Brand verursachte, ist offen. Die Polizei behauptet, die
Hausbesetzer hätten das Feuer versehentlich selbst entfacht. Beweise
blieb sie schuldig. Sicher ist aber, dass Odessa neuer Krisenherd
ist. Besonders gefährlich daran ist, dass die Schwarzmeerstadt einen
Katzensprung von der abtrünnigen moldauischen Region Transnistrien
entfernt ist, in der russische Truppen stationiert sind. Ãœber dem
Osten und Süden der Ukraine schwebt das Damoklesschwert einer
russischen Militärinvasion. Es ist deshalb höchste Zeit, dass die
Verantwortlichen in Kiew, Berlin, Brüssel und Washington eine
Anti-Krisen-Strategie entwickeln, die diesen Namen verdient.
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