(ots) - Die Versuchung bleibt groß, Wladimir Putins
aggressive Machtpolitik wegzurationalisieren. Andernfalls müssten
Politiker ein paar unangenehme Einsichten gewinnen. Nähmen sie die
Bedrohung aus Russland ernst, wüssten sie, dass es wie bisher nicht
weitergeht. Es hat sich ausgekuschelt. Der
NATO-Verteidigungs-Planungsausschuss kommt in einem internen Papier
zu dem Schluss, dass ein Angriff auf die Mitgliedstaaten Lettland,
Litauen und Estland kaum mit konventionellen Mitteln abgewehrt werden
könnte. Das Vorgehen Putins in der Ukraine gibt berechtigten Anlass
zur Sorge, er könnte versucht sein, eines Tages mit derselben
Blaupause in den baltischen Staaten zu agieren. Der Anschluss der
Krim und die Einmischung im Osten der Ukraine offenbaren, wie wenig
die Europäische Union auf das nationalistische Gebaren Russlands
eingestellt ist. Umso dringender müssen sich die Europäer nun
Gedanken darüber machen, wie sie künftig ihre eigene Sicherheit
organisieren wollen. Nichts beschreibt die Notwendigkeit dieser
Debatte deutlicher, als die Unfähigkeit der Mitgliedstaaten, die
Außengrenzen der EU aus eigener Kraft verteidigen zu können. Dafür
brauchen sie den Beistand der USA. Solange die Arbeitsteilung entlang
dieser Linien verläuft, werden die strategischen Entscheidungen in
Washington getroffen. Dass dabei nicht immer das herauskommt, was
sich die Europäer wünschen, liegt auf der Hand. Es ist ein bisschen
so wie mit der Großmutter, die bei der Beaufsichtigung der Zöglinge
mit eingespannt wird. Da geht die Kritik an der "falschen"
Erziehungsmethode der Oma auch haarscharf am Ziel vorbei. Wer
Verantwortung abgibt, lädt zur Einmischung ein. In der Weltpolitik
ist das nicht anders. Europa hat sich darauf eingerichtet, die
Vereinigten Staaten für seine Sicherheit garantieren zu lassen. Und
sie tun es. Ohne die Rückendeckung der USA dürften die Aggressionen
des kleinen Führers aus Moskau gewiss mehr Sorge auslösen. Die
Amerikaner sehen zu Recht nicht ganz ein, warum sie ständig auf die
Anklagebank gesetzt werden. Mal, weil sie zu viel Druck machen, ein
anderes Mal wegen des Vorwurfs, nicht genügend zu tun. Präsident
Obama hat Konsequenzen aus der Hybris seines Vorgängers gezogen, der
die Supermacht in einen unnötigen und falschen Krieg in Irak stürzte.
Und er beendet den Einsatz in Afghanistan. Beides hatte er seinen
Landsleuten vor den Wahlen versprochen. Und Europa ehrte ihn dafür
vorab euphorisch mit dem Friedensnobelpreis. Nach einem Jahrzehnt der
Kriege hat Obama nicht die geringste Neigung, die USA in neue
militärische Abenteuer zu verstricken. Wobei ein Waffengang vor der
Haustür einer Nuklearmacht ohnehin keine denkbare Option wäre. Das
weiß auch Putin, der die Kriegsmüdigkeit der USA und die Schwäche
Europas in der Ukraine zynisch ausbeutet. Das große Glück der EU
besteht darin, mit Obama ein Präsident im Weißen Haus zu haben, der
den engen Schulterschluss sucht. Das kann sich ändern. Erstaunlich,
wie wenig diese Realität im Wahlkampf thematisiert wird. Die
Ukraine-Krise sollte ein Weckruf an Europa sein, mehr für die eigene
Sicherheit zu tun. Angefangen bei einer gemeinsamen Außenpolitik, die
nicht von nationalen Eitelkeiten untergraben wird, über integrierte
europäische Streitkräfte im Rahmen der NATO bis hin zu Investitionen
in Ausrüstung und Soldaten. Solange Europa nicht bereit ist, sein
Kuschel-Paradies zu verlassen, wird es nur bedingt ernst genommen.
Sowohl in Moskau wie auch in Washington. Darüber wäre eine Debatte
nötig. Nicht nur im Wahlkampf. Dringend.
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