(ots) - Der Berliner Wähler war schon immer eigen. Während
im Rest der Republik die Kanzlerin in ihrer Rolle als oberste
Europäerin bestätigt wurde, verlor die CDU in der Hauptstadt
überproportional. Zugleich fiel die erwartete Klatsche für den
Regierenden Bürgermeister Klaus Wowereit (SPD) überraschend milde
aus. Während Grüne und CDU verloren, legte Wowereits SPD deutlich zu,
wenn auch auf niedrigem Niveau. Das im Bundesvergleich starke
Abschneiden der AfD dient dem Berliner CDU-Chef Frank Henkel als
schmerzhafter Hinweis, traditionelles Profil zu schärfen.
Trotz unübersichtlicher Wahlaufgaben hielten die Berliner die
Themen Europa und Tempelhof klar auseinander. Anders ist nicht zu
erklären, dass die Bebauungsbefürworter von der SPD in der EU-Wahl
zulegten, die CDU zugleich verlor. So ist es auch nicht peinlich,
dass sich offenbar so viele Bürger beim ersten Versuch verwählten,
bis mancherorts die Stimmzettel ausgingen. Vielmehr scheint es, dass
beim Ankreuzen ein, wenn auch spätes, Nachdenken im Spiel war. Hohe
Beteiligung und ein differenziertes Votum - so wählen mündige Bürger.
Skeptisch gegenüber einer Politik, die sich als Baumeister übernimmt,
verordneten die Hauptstädter ihrer Regierung eine Pause, nach dem
Motto: Bevor ihr das nächste Großprojekt verstolpert, bringt bitte
erst mal Flughafen und Stadtschloss auf die Reihe.
Das Spektakulärste an diesem Wahlsonntag war, zumindest in
Deutschland, das weitgehende Ausbleiben von Spektakulärem. Die
Kanzlerin hat sich trotz AfD halbwegs wacker geschlagen, Verluste hat
vor allem die CSU eingefahren, deren Komet Seehofer so langsam
verglüht. Die SPD hat sich nach dem historischen Tiefstand von 2009
regeneriert, Grüne und Linke können auf treue Klientel bauen, die FDP
bleibt marginalisiert. Auch knapp sieben Prozent für die AfD waren zu
erwarten. Im Vergleich zu anderen Ländern mutet das Votum für die
hiesigen Euro-Skeptiker aber relativ harmlos an.
Fazit, wie schon bei der Bundestagswahl 2013: Mutti Merkel soll es
richten, mit einer großen Koalition, die zwei Drittel der Stimmen auf
sich vereint. Eine starke deutsche Regierungschefin erscheint den
Wählern wichtiger als ein deutscher Kommissionspräsident. Europa ist
weder das Paradies, wie die Eurokraten gern verheißen, aber auch
nicht der Untergang des Abendlandes, wie die Kritiker mahnen. Diese
Europawahl hat den Bürgern des Kontinents einen symbolisch wertvollen
Tag des Miteinanders beschert - bei allen individuellen Sorgen.
Der Leitartikel im Internet: www.morgenpost.de/128405397
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