(ots) - Die Schuldfrage scheint geklärt: Der Schiri war's.
Ob der zweifelhafte Elfer für Spanien, zwei klare, aber weggepfiffene
Tore für Mexiko oder Freds Kunstflug, der einen unverdienten
Strafstoß und die halbwegs gleichwertigen Kroaten im Eröffnungsspiel
gegen Brasilien in Rage brachte - stets waren der Unparteiische und
seine Gehilfen die Bösen. Pfeife, schwarze Sau, Blindgänger - die
üblichen Pöbeleien eben, nicht edelmütig, aber erklärbar, wenn der
Sieg nicht der Leistung, sondern dem Zufall zu verdanken ist. Im
ersten Zorn drohte Kroatiens Trainer Kovac gar, das Turnier zu
verlassen. Lieber Strand als Veräppeltwerden.
Die Kritik an den Unparteiischen ist richtig und falsch zugleich.
Ja, es wurden Fehlurteile getroffen, in rekordverdächtiger Zahl.
Aber: Schieds- und Linienrichter können nichts dafür. Schließen wir
den Faktor böse Absicht aus, bleibt die Erkenntnis: Sie können es
nicht besser. Nicht etwa, weil sie schlecht ausgebildet wären,
sondern schlicht, weil der menschliche Wahrnehmungsapparat nicht in
der Lage ist, binnen Zehntelsekunden hochkomplexe Konstellationen mit
tückebegabten Akteuren richtig zu bewerten. Kein Mensch könnte das.
Selbst die tausend Augen der hochfeinen Kameras mit all ihren
Perspektiven, Zeitlupen, Nahaufnahmen und Hilfslinien sind bisweilen
überfordert. Wie also soll ein Linienrichter selbst auf Ballhöhe
zuverlässig beurteilen, was im Getümmel 30 Meter entfernt geschieht,
mit Passgeber, Passempfänger, diversen Verteidigern und schließlich
dem Ball? Das Spiel ist einfach zu schnell geworden. Gut für die
Zuschauer, nicht zu bewältigen für Rasenrichter und alle anderen
Menschen. Wer Schiedsrichter kritisiert, der könnte auch
Kanzleramtsminister Peter Altmaier vorwerfen, dass er keinen
Van-Persie-Flugkopfball hinbekommt. Manche Sachen gehen eben nicht.
Prof. Dr. Daniel Memmert, Chef des Instituts für Kognitions- und
Sportspielforschung an der Deutschen Sporthochschule Köln, hat einen
Aufmerksamkeitstest entwickelt, um zu ermitteln, wie viele
Informationen ein Sportler gleichzeitig aufnehmen kann. Fazit: Es ist
unmöglich, ein Abseits zuverlässig zu erkennen. Die Studienergebnisse
legen nahe, dass ab einer bestimmten Komplexität die
Trefferwahrscheinlichkeit bei nahezu 50/50 liegt. Die Schiedsrichter
in Brasilien könnten also genauso gut eine Münze werfen.
Die Lösung: Die Fifa, modernisierungsfroh wie der Vatikan, muss
schleunigst alle technischen Entscheidungshilfen prüfen - nicht um
die Schiedsrichter zu entmachten, sondern im Gegenteil, um sie vor
dem globalen Zorn zu schützen, der sich derzeit gegen ihren
Berufsstand aufbaut. Ob die Linienkontrolle beim Tennis oder der
Videobeweis, den jedes Team einmal pro Halbzeit anfordern kann - der
Optionen sind einige. Die Torlinienkamera ist ein Anfang, aber ein
hasenfüßiger. Rettet die Schiris, so schnell wie möglich.
Der Leitartikel im Internet: www.morgenpost.de/129078812
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