(ots) - Die Amerikaner zeigen sich mehr irritiert als
beeindruckt von der Berliner Reaktion auf die Spionage-Affäre. Ein
wenig herablassend wird der Rausschmiss des CIA-Stationschefs in
Deutschland als "German Wutanfall" heruntergeredet. Präsident Obama
schweigt sich aus. CIA-Chef Brennan ruft nicht im Kanzleramt an, um
sich zu entschuldigen, sondern weil er negative Schlagzeilen
verhindern will. Und Außenminister John Kerry dürfte bei seinem
Treffen mit Frank Walter Steinmeier in Wien mit den üblichen Floskeln
die Wichtigkeit der Beziehungen zu Deutschland betonen. Was sich in
Washington nicht feststellen lässt, ist das Gespür für die
fundamentalen Verschiebungen, die sich im Herzen Europas vollziehen.
Sechs Jahre nachdem Obama vor der Siegessäule in Berlin als Kandidat
proklamierte, das Frieden und Fortschritt Verbündete braucht, "die
aufeinander hören, voneinander lernen und einander vertrauen", fehlt
von Einfühlungsvermögen jede Spur. Die NSA-Schnüffeleien hinterlassen
eher den Eindruck, der Präsident habe "Zuhören" mit "Abhören"
verwechselt. Während die Spionage-Affäre unterstreicht, dass auch
unter Obama Kontrolle höher im Kurs steht als Vertrauen. Hörten der
Präsident und seine Berater in diesen Tagen tatsächlich hin, merkten
sie, dass die gegenwärtige Krise in den Beziehungen mehr als eine
atmosphärische Störung ist. Auf dem Spiel steht nicht weniger als die
historische Westintegration, die Konrad Adenauer nach dem zweiten
Weltkrieg gegen einigen Widerstand in der Bundesrepublik durchgesetzt
hat. Frieden, Freiheit und Wohlstand, so die Formel des Kanzlers,
seien nicht durch Lavieren zwischen Ost und West zu erreichen,
sondern nur an der Seite Amerikas. Wer sich in der Welt umschaut,
wird auch heute kaum zu einem anderen Ergebnis kommen können.
Realistisch betrachtet gibt keine Alternative zur transatlantischen
Partnerschaft. Übrigens auch nicht für die USA, die einen hohen Preis
für ihren Alleingang in Irak und fehlgeschlagene Staatenbildung in
Afghanistan bezahlt. Die überforderte Supermacht braucht mehr denn je
Partner bei der internationalen Aufgabenteilung. Die säkularen
Zivilgesellschaften Europas und der USA stehen vor denselben
Bedrohungen extremistischer Gruppen, die ihren Terror nur allzu gerne
ausbreiten würden. Sie sehen ihre Sicherheit herausgefordert durch
das Auseinanderbrechen der alten Ordnung im Nahen Osten. Dazu gehören
die Atom-Ambitionen Irans, die nicht nur Israel gefährden, sondern
einen Nuklearwettlauf in der Region auslösen könnten, der verhindert
werden muss. Nicht weniger beunruhigend sind die Muskelspiele
hegemonialer Mächte wie Russland in der Ukraine oder China im Gelben
Meer. Diese Herausforderungen können die USA und Europa nur gemeinsam
meistern. Umso tragischer ist die fehlende Sensibilität in Washington
für die drohenden Konsequenzen aus dem fortgesetzt demonstrierten
Misstrauen gegenüber dem deutschen Musterknaben. Statt den Rauswurf
des CIA-Stationschefs als unreifen Gefühlsausbruch abzutun, sollte
die Supermacht ihn als Weckruf verstehen. Angela Merkel hat schon
Recht. Gemessen an dem was die Spitzel und Lauscher auf diesen Weg
herausfinden, was sie nicht über ganz normale Kanäle auch anders in
Erfahrung bringen könnten, lohnt der politische Preis nicht, der ein
Auffliegen mit sich bringt. Das Herunterkochen der Affäre in
Washington macht taktisch Sinn, reicht aber alleine nicht aus, eine
Entfremdung von der Macht im Herzen Europas aufzuhalten. Wenn das
bereits in den Brunnen gefallene transatlantische Kind nicht
ertrinken soll, muss Präsident Obama echte Empathie zeigen. Und bei
seinen Geheimdiensten endlich glaubwürdig durchgreifen. Die
Ressourcen lassen sich an anderer Stelle gewiss besser und im
gemeinsamen Interesse einsetzen.
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