(ots) - FĂŒr die Abgeordneten des Europaparlaments war
die feierliche Zeremonie gestern im StraĂburger Plenarsaal eine
Premiere. Zum ersten Mal wurde ein Nachbarschaftsabkommen zeitgleich
unterzeichnet. Per Videoschaltung spendeten sich die Parlamentarier
in Kiew und StraĂburg gegenseitig Beifall. Doch die symboltrĂ€chtigen
Bilder konnten nicht vergessen machen, dass es eine leere HĂŒlle war,
ĂŒber die abgestimmt wurde. Am Freitag hatte die EU den
wirtschaftlichen Kern des Vertrages nach GesprÀchen mit russischen
und ukrainischen Vertretern fĂŒr 15 Monate ausgesetzt. Ist dieses
ZugestÀndnis das richtige Signal? Erteilt es nicht vielmehr Putins
völkerrechtswidrigen Handlungen den europÀischen Segen? Immerhin
erhÀlt die EU durch diesen Schachzug ein zusÀtzliches Druckmittel in
die Hand. Handelskommissar De Gucht schickte gestern eine deutliche
Warnung nach Moskau: Sollte Russland seinen Handelskrieg gegenĂŒber
der Ukraine fortsetzen, werde auch der wirtschaftliche Teil des
Abkommens sofort in Kraft gesetzt. Festzuhalten ist, dass der Ukraine
durch die Aufschiebung keine wirtschaftlichen Nachteile entstehen.
Die zunĂ€chst fĂŒr eine Ăbergangszeit beschlossenen
Einfuhrerleichterungen fĂŒr ukrainische Waren bleiben in Kraft, die
Zahlen belegen deren Wirksamkeit eindrucksvoll: Um 15 Prozent sind
die Importe in die EU seit Juni gestiegen. Die ökonomischen Nachteile
trĂ€gt fast ausschlieĂlich die europĂ€ische Seite, die fĂŒr weitere 15
Monate keinen zollfreien Zugang zum ukrainischen Markt erhÀlt. Diese
Frist soll genutzt werden, um russische Bedenken zu prĂŒfen und
möglichst aus der Welt zu schaffen. In Moskau sorgt man sich, dass
billige europĂ€ische Waren ĂŒber die Ukraine nach Russland eingefĂŒhrt
werden könnten und den einheimischen Produzenten das GeschÀft
ruinieren. Die russischen Vorbehalte sind spÀtestens seit November
bekannt, als der damalige ukrainische PrÀsident Janukowitsch die
Unterschrift unter das Abkommen in letzter Sekunde verweigerte. Schon
damals hatten sich Beobachter gefragt, wieso die EuropÀer so
unbedarft in diese Krise stolperten. War denn der negative Effekt des
Assoziierungsabkommens auf die russische Wirtschaft nicht bedacht
worden, bevor man den politischen Prozess in Gang setzte? Hatte
niemand die wirtschaftlichen Folgen durchgerechnet und das politische
Erdbeben vorhergesehen? Diese Fragen stellen sich zehn Monate spÀter
unverĂ€ndert. Das stĂŒmperhafte auĂenpolitische Agieren bescherte der
EU zwei Hypotheken, an denen sie noch lange knabbern wird: Putin
annektierte die Krim und mischte sich in der Ostukraine ein, zwischen
Ost und West begann eine neue Eiszeit. Viele junge Ukrainer brachten
hohe Opfer, um ihr Land gegen den russischen Hegemonieanspruch zu
verteidigen und in eine demokratische Zukunft unter europÀischem Dach
zu fĂŒhren. Daraus leiten sie nun den moralischen Anspruch ab, rasch
Mitglied der EU zu werden. Doch die Bereitschaft der EuropÀer, die
Ukraine in absehbarer Zeit als neunundzwanzigstes Mitgliedsland zu
akzeptieren, geht gegen null. Es rÀcht sich nun nicht nur die
stĂŒmperhafte Politik der europĂ€ischen Regierungen und der
EU-Kommission, die das Abkommen mit Kiew so gedankenlos vorantrieben.
Es rÀcht sich auch die revolutionsbegeisterte Rhetorik vieler
Politiker aus allen politischen Lagern. Sie verpassten die Chance,
den Menschen in der Ukraine reinen Wein einzuschenken. EnttÀuschte
Liebe könnte sich rasch in ihr Gegenteil verkehren. Das Risiko
besteht, dass sich eine ganze Generation junger Ukrainer von Europa
und seinen Werten abwendet.
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