(ots) - Wenn ein 74-Jähriger vor einer Schulklasse spricht
und dabei nationale Aufmerksamkeit findet, dann heißt das schon was,
heutzutage. So erging es Joachim Gauck, als er vor Schülern in Berlin
dazu aufrief, "rechtsradikalen Spinnern" entgegenzutreten. Er kann
auch flapsig und ist auch dann authentisch. Natürlich ist das nicht
seine bevorzugte Tonalität. Zu Beginn seiner Amtszeit wurde er ein
bisschen belächelt, weil er immerzu über Freiheit sprechen wollte.
Mittlerweile begegnet die weit überwiegende Mehrheit der Nation ihrem
Präsidenten nicht nur mit Respekt, Achtung und Zustimmung; sie
versteht ihn offenbar auch gut. Und das will noch weit mehr heißen
als Aufmerksamkeit, im Mediendschungel heutzutage. Die Freiheit ist
sein Lebensthema, wie sollte es denn anders sein. Sein Vater war
NSDAP-Mitglied und als DDR-Bürger Jahre im Gulag eingesperrt, wegen
"antisowjetischer Hetze". Joachim Gauck überlegte lange, ehe er das
Theologiestudium begann. Es gab manche Zweifel in seinem Leben. Als
Pastor war er im Visier der Stasi. Die Frage, ob er 1989
Widerstandskämpfer war oder "nur" Bürgerrechtler, mutet fast grotesk
an. Gauck vereinigt in sich Lebenserfahrung von enormer Tiefe,
Intellekt und Menschlichkeit. So einem vertraut man. Manchmal wirkt
er obendrein ein wenig royal, was ja gut gelitten ist bei uns
Deutschen. Als Mensch bleibt er der Bürger Gauck, der als Präsident
Wichtiges zur - auch militärischen - Verantwortung Deutschlands sagt,
aber zumindest ebenso intensiv Unmenschlichkeit in der
Flüchtlingspolitik beklagt. Diese Art von Streitbarkeit ist konkret
und deshalb wertvoll. Von folgenloser Theorie in Sonntagsreden hat
die Nation die Nase voll. Gauck brauchte ein Jahr, um sich in seinem
Amt zurechtzufinden. Jetzt füllt er es auf eine Weise aus, wie es
zuletzt wohl nur bei Weizsäcker zu sehen war. Ein Glücksfall, zumal
nach den schockierenden Abgängen von Köhler und Wulff.
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