PresseKat - Ethikrat empfiehlt mehrheitlich eine Revision des§ 173 StGB zum einvernehmlichen Geschwisterinzest

Ethikrat empfiehlt mehrheitlich eine Revision des§ 173 StGB zum einvernehmlichen Geschwisterinzest

ID: 1112330

(ots) - In seiner heute veröffentlichten Stellungnahme zum
Thema Inzestverbot plädiert die Mehrheit der Mitglieder des Deutschen
Ethikrates dafür, den einvernehmlichen Beischlaf unter erwachsenen
Geschwistern zukünftig nicht mehr unter Strafe zu stellen.

Anlass dafür, dass sich der Ethikrat mit dem Thema Inzestverbot
befasst hat, war die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für
Menschenrechte (EGMR) vom 12. April 2012. Der EGMR hatte eine
Beschwerde eines in Deutschland wegen Inzests verurteilten Mannes
gegen das Bundesverfassungsgericht zurückgewiesen. Dieses hatte in
einer Entscheidung von 2008 festgestellt, dass die Gesetzesregelung
des § 173 StGB mit dem Grundgesetz vereinbar sei. Damit hatte das
Bundesverfassungsgericht aber nicht gesagt, dass das strafrechtliche
Inzestverbot nicht aufgehoben oder geändert werden dürfe. Vor diesem
Hintergrund hat der Deutsche Ethikrat geprüft, ob aus ethischen
Gründen eine Änderung der derzeitigen Rechtslage empfehlenswert ist.

Geschwisterinzest scheint nach allen verfügbaren Daten in den
westlichen Gesellschaften sehr selten zu sein. Betroffene schildern
aber, wie schwierig ihre Situation angesichts der Strafandrohung sei.
Sie fühlen sich in ihren grundlegenden Freiheitsrechten verletzt und
zu Heimlichkeit oder Verleugnung ihrer Liebe gezwungen. Dem Ethikrat
sind ausschließlich Fälle bekannt geworden, in denen Halbgeschwister
nicht gemeinsam aufgewachsen sind und sich erst im Erwachsenenalter
kennengelernt haben.

Die Mehrheit des Deutschen Ethikrates ist der Auffassung, dass das
Strafrecht nicht das geeignete Mittel ist, ein gesellschaftliches
Tabu zu bewahren. Es hat nicht die Aufgabe, für den
Geschlechtsverkehr mündiger Bürger moralische Standards oder Grenzen
durchzusetzen, sondern den Einzelnen vor Schädigungen und groben
Belästigungen und die Sozialordnung der Gemeinschaft vor Störungen zu




schützen.

Diesem Schutz dienen die Regelungen der §§ 174 ff. StGB
("Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung"). Insbesondere der
sexuelle Missbrauch von Kindern und Jugendlichen, die Ausnutzung von
Abhängigkeitsverhältnissen, Zwangslagen oder fehlender sexueller
Selbstbestimmung sowie die sexuelle Nötigung und Vergewaltigung sind
hier unter Strafe gestellt. Das gilt selbstverständlich auch für
sexuelle Handlungen zwischen Blutsverwandten.

Im Fall einvernehmlichen Inzests unter volljährigen Geschwistern
können weder die Befürchtung negativer Folgen für die Familie noch
die Möglichkeit der Geburt von Kindern aus solchen Inzestbeziehungen
ein strafrechtliches Verbot dieser Beziehungen rechtfertigen. Das
Grundrecht der erwachsenen Geschwister auf sexuelle Selbstbestimmung
ist in diesen Fällen stärker zu gewichten als das abstrakte Schutzgut
der Familie.

Dies gilt auch bei einvernehmlichem Inzest, wenn einer der Partner
noch unter 18 Jahren alt ist und ein lebenspraktischer
Familienverbund, der geschädigt werden könnte, nicht mehr besteht.
Das Strafrecht darf nicht zum Schutz von Abstrakta wie der rein
rechtlichen Verfasstheit der Familie eingesetzt werden. Fälle, in
denen der Familienverbund existiert und einer der Partner noch nicht
18 Jahre alt ist, sind dem gegenüber anders zu beurteilen. Hier
überwiegt das Schutzgut Familie. Für solche Fälle sollte die
Strafbarkeit neben dem Beischlaf konsequenterweise auch auf andere
sexuelle Handlungen von erheblichem Gewicht ausgeweitet werden.

Die Empfehlung der Mehrheit des Deutschen Ethikrates berührt
hingegen nicht die Frage, inwieweit auch die Strafbarkeit des Inzests
zwischen Eltern und volljährigen Kindern aufgehoben werden sollte.

In einem abweichenden Votum erklären neun Mitglieder des DER, dass
sie eine strafrechtseinschränkende Änderung oder gar Aufhebung des §
173 StGB ablehnen. Sie sehen darin ein irritierendes
rechtspolitisches Signal, von dem eine Relativierung und Schwächung
des verfassungsrechtlich legitimen und ethisch bedeutsamen Schutzguts
der Strafnorm ausgehen könne. Zentrales Anliegen der Vorschrift sei
nämlich der Schutz der Integrität und Inkompatibilität
unterschiedlicher familialer Rollen als wichtiger Voraussetzung
gelingender Persönlichkeitsentfaltung. Der Gesetzgeber habe diesen
Gesichtspunkt als ein zentrales Abwägungsargument in seine
Ãœberlegungen einzubeziehen. Zudem liege die Annahme nicht fern, dass
es zu noch weiter reichenden Forderungen nach Straflosstellung
inzestuösen Verhaltens kommen werde.

Auch das abweichende Votum verkennt nicht, dass unter der Geltung
des § 173 StGB manche Paare in eine tragische Lebenssituation
geraten. Dem könne aber für bestimmte Konstellationen auch ohne
gesetzgeberische Intervention im Prozess der Rechtsanwendung, z.B.
durch die Einstellung eines staatsanwaltlichen Verfahrens, Rechnung
getragen werden.

Der vollständige Text der Stellungnahme findet sich vorläufig
unter http://www.ethikrat.org/i-net/dl/1410948960.pdf.



Pressekontakt:
Ulrike Florian
Deutscher Ethikrat
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Jägerstraße 22/23
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Datum: 24.09.2014 - 10:30 Uhr
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