(ots) - Kurz bevor sich Kommissionspräsident Barroso,
Ratspräsident Van Rompuy und Handelskommissar De Gucht auf den Weg
nach Ottawa machten, kam ihnen sozusagen das Gastgeschenk abhanden.
Höhepunkt des kanadisch-europäischen Gipfels hätte die Abzeichnung
eines Freihandelsabkommens sein sollen, das schon seit einem Jahr
fertig verhandelt in der Schublade liegt. Doch in letzter Minute
regte sich Widerstand im Europaparlament, in der österreichischen
Abgeordnetenkammer und im Deutschen Bundestag. Denn das Abkommen
enthält eine Klausel, die die Rechte des Importeurs gegenüber der
jeweiligen Regierung stärken soll. Wenn es Streit wegen einer
Einfuhrbeschränkung gibt, sollen nicht die ordentlichen Gerichte,
sondern eine spezielle Schiedsstelle für Handelsfragen zuständig
sein. Kritiker fürchten, dass dadurch nationale Verbraucherschutz-
oder Umweltstandards ausgehebelt werden könnten, weil ein Investor
den Marktzugang mit Hilfe eines Schiedsgerichts erzwingen könnte, das
Handelsfreiheit höher bewertet als nationale Gesetze. Auch das
Handelsabkommen TTIP mit den USA enthält eine solche Klausel. Deshalb
gilt CETA als Test. Als abschreckendes Beispiel führen Kritiker den
Fall des kanadischen Gas- und Ölproduzenten Lone Pine an, dem von der
kanadischen Regierung die Fracking-Lizenz entzogen worden war. Das
Unternehmen nutzte eine Investitionsschutzklausel im
Nafta-Handelsabkommen zwischen Kanada und den USA, um über seine
US-Tochter gegen Kanadas Regierung zu klagen. Die Regierung, so der
Vorwurf, missbrauche nationale Gesetze, um den Mitbewerber vom
kanadischen Markt fernzuhalten. Nach ähnlichem Muster könnten
kanadische oder US-Firmen versuchen, Hormonfleisch oder
chlorbehandelte Hühnchen auf den europäischen Markt zu drücken.
Würden darüber nicht die ordentlichen Gerichte, sondern ein
Handelsschiedsgericht entscheiden, hätten womöglich die Verbraucher
das Nachsehen. Die Sorgen sind berechtigt. Warum aber bringen
Politiker und Verbraucherschützer ihre Einwände erst in letzter
Minute vor, wo das CETA-Abkommen kurz vor dem Abschluss steht? Das
liegt nicht daran, dass die Kritiker geschlafen haben, sondern an der
geheimniskrämerischen Verhandlungstaktik der EU-Kommission. Mit
Verweis auf die Wünsche der Partner in Übersee weigert sie sich seit
Jahren, das Verhandlungsmandat sowie Protokolle und
Zwischenergebnisse zu veröffentlichen. Die EU-Abgeordneten dürfen in
einem abgeschotteten Leseraum einen Blick auf die Papiere werfen,
ihre Erkenntnisse aber nicht veröffentlichen. Beim
Urheberschutzabkommen ACTA hatte die Brüsseler Behörde sich genauso
verhalten und damit Schiffbruch erlitten. Nach jahrelangen
Geheimverhandlungen wurde der fertige Text dem EU-Parlament zur
Abstimmung vorgelegt. In der Zwischenzeit hatten Bürgerrechtsgruppen
eine große Widerstandsbewegung gegen ACTA mobilisiert. Das
EU-Parlament lehnte ab. Das Ergebnis jahrelanger Arbeit wanderte in
den Schredder. CETA und TTIP droht das gleiche Schicksal, wenn die
Kommission nicht endlich den Mut hat, ihre Zwischenergebnisse der
kritischen Öffentlichkeit zugänglich zu machen. Der neue
Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker scheint das Problem erkannt
zu haben, denn er gelobt Besserung. Nur wenn die Europäer sich selbst
ein Bild über den Inhalt der Verhandlungen machen können, ist eine
sachliche Debatte möglich. Erst dann lassen sie sich vielleicht von
den Vorteilen überzeugen, die ein Handel ohne Zollschranken und
bürokratische Hemmnisse für sie bedeuten kann.
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