(ots) - Wer wissen will, wie es um Deutschland steht, fährt
nach Wiesbaden, an den Gustav-Stresemann-Ring. Dort, im Statistischen
Bundesamt, schlummern jene Datensätze, die regelmäßig, vor allem aber
am 3. Oktober, bemüht werden, wenn es um die Vermessung der Nation
geht: Kaufkraftentwicklung, Reiseverhalten, politische Teilnahme,
Gehälter, Geburtenraten, und, und, und. Knapp 25 Jahre nach dem Fall
der Mauer stellt man beim Betrachten der Kennzahlen aus Wiesbaden
zweierlei fest: Zum einen gibt es tatsächlich noch messbare
Unterschiede zwischen Ost und West. Zugleich aber finden sich absolut
vergleichbare Diskrepanzen auch zwischen Oberbayern und dem Emsland
oder dem Hochtaunuskreis und Teilen der Westpfalz. Ist die Einheit
also vollendet? Wird sie nun, ein Vierteljahrhundert nach dem
Zusammenbruch der DDR, zum exklusiven Thema der Historiker? Die
Antwort lautet: Nein. Der Fall der Mauer war zuallererst dem Mut
derjenigen zu verdanken, die in Leipzig und anderen Städten auf die
Straßen gingen. Ihnen ist bis heute kein Denkmal gesetzt worden.
Damit darf man sich gerne noch ein wenig Zeit lassen. Wichtiger ist,
dass wir uns immer an die Motive der Mutigen von damals erinnern:
Freiheitswille, Solidarität, das bewusste Inkaufnehmen von Risiken,
das Wissen, das Volk und somit der Träger aller Macht zu sein. Dieses
Wissen ist der wahre Kern der Einheit und nicht die jetzt wieder
hochroutiniert heruntergespulte politische Nabelschau. Die Wende war
kein Verwaltungsakt. Diese Botschaft des 9. November darf auch am 3.
Oktober nie in Vergessenheit geraten. Nur von ihr führt eine
lebendige Spur direkt in unsere Gegenwart, die wir, so scheint es,
dringender denn je brauchen. Bei mancher aktuellen Debatte - vor
allem der um die Aufnahme von Flüchtlingen - wünscht man sich den
Geist von 1989 zurück. Mehr Entschlossenheit, weniger Kleingeist -
mit dieser Devise ist zwar noch kein einziges Problem gelöst. Aber
der Weg hin zur Lösung wird damit in vielen Fällen überhaupt erst
begehbar. Wer eine mutige Politik will, muss selbst mutig sein. Wegen
dieser zentralen Erkenntnis darf der Geist der Einheit niemals völlig
in den Geschichtsbüchern verschwinden, sondern muss uns weiter wach
halten. Ein Geist, der einen Unrechtsstaat zu Fall bringen konnte,
kann noch viele weitere Berge versetzen. Und nur ein Deutschland, das
so denkt, kann das starke Deutschland sein, das sich mancher Redner
derzeit so gerne wünscht. Ob die Welt dieses Deutschland gebrauchen
kann? Das liegt an uns. Weil nur wir entscheiden, welches Volk wir
sein wollen. An jedem Tag, nicht nur am 3. Oktober.
Pressekontakt:
Allgemeine Zeitung Mainz
Florian Giezewski
Regionalmanager
Telefon: 06131/485817
desk-zentral(at)vrm.de