(ots) - Die USA machen hinter den Kulissen massiv Druck
auf die Türkei, dem grünen Licht aus dem Parlament für einen
militärischen Einsatz in den Nachbarländern Irak und Syrien nun auch
Taten folgen zu lassen. Niemand sonst in der Region verfügt über so
gut ausgerüstete und einsatzbereite Bodentruppen, mit denen die USA
die Luftangriffe der Anti-IS-Koalition effektiv koordinieren könnte.
Zudem handelt es sich um einen NATO-Partner, dessen militärische
Strukturen voll in das westliche Bündnis integriert sind. Ein
unschätzbarer Vorteil, weil es so nur wenige logistische
Reibungsverluste gibt. Aus amerikanischer Sicht befreit eine
Intervention der Türkei die USA zudem aus dem Dilemma, in das sich
die Supermacht mit dem expliziten Versprechen hineinbegeben hat,
keine eigenen Kampftruppen einzusetzen. In Washington findet sich
kein ernsthafter Analyst, der glaubt, die Terrorbrigaden des so
genannten Islamischen Staats ließen sich allein aus der Luft
besiegen. Damit hängt der Erfolg gegen den IS von schlagkräftigen
Verbündeten auf dem Boden ab, die es bisher nur als Wunschvorstellung
gibt. Ob jemals genügend Kämpfer der "moderaten" Opposition gegen den
syrischen Diktator Bashir al-Assad in Saudi-Arabien ausgebildet
werden können, steht in den Sternen. Die bisherigen Versuche des
amerikanischen Geheimdienstes CIA, die zersplitterten Verbände unter
dem Dach der "Free Syrian Army" zu vereinen, erwiesen sich als
genauso erfolglos wie die Bewaffnung und Ausbildung der Freiwilligen.
Ankara könnte Barack Obama mit einem Eingreifen aus der strategischen
Patsche helfen. Dass Präsident Erdogan dem Kriegsherrn wider Willen
im Weißen Haus diesen Gefallen erweisen wird, gilt jedoch als
keineswegs sicher. Das Kalkül der Türken ist komplexer als es der
Parlamentsbeschluss vermuten lässt. Während der Fokus der USA auf der
Zerschlagung des Kalifats und seiner extremistischen Kämpfer liegt,
hat Erdogan mindestens genauso sehr das syrische Regime und die
kurdische Minderheit im Nachbarland im Visier. Anders als im Irak
sind die Kurden in Syrien mit der PKK verbündet, die über Jahre im
Osten der Türkei für die Unabhängigkeit der Kurden-Gebiete gekämpft
hatte. Die bisherige Weigerung Ankaras, der Anti-IS-Koalition aktiv
zu helfen, wertete die Kurden als Bündnispartner der USA auf. Wenn
türkische Bodentruppen eingreifen, dann auch, um den kurdischen
Einfluss zurückzudrängen. Darüber hinaus besteht Erdogan darauf, dass
der Kampf gegen die Extremisten des "Islamischen Staats" nicht von
dem ultimativen Ziel ablenken dürfe, den syrischen Diktator Bashir
al-Assad loszuwerden. Amerikanische Luftangriffe ohne ein
Gegengewicht zu den syrischen Regierungstruppen auf dem Boden liegen
nicht im Interesse der Türkei. Diese Gemengelage macht Ankara zu
einem schwierigeren Verbündeten. Eine Situation, die noch weiter
verkompliziert wird, weil der türkische Geheimdienst zusammen mit
Agenten aus Katar und Saudi-Arabien in der Vergangenheit alle
möglichen Sunni-Gruppen in Syrien unterstützt hat. Über diesen Weg
flossen Geld und Waffen an Extremisten, die als die Mutigeren im
Kampf gegen den Schiiten-Freund Assad galten. Ãœber Umwege auch an den
El-Kaida-Ableger Al-Nusrah und den IS. Erdogan dürfte schon sehr bald
gezwungen sein, zu zeigen, wie er den Parlamentsbeschluss zu nutzen
gedenkt. Sollte das türkische Militär tatenlos zuschauen, wie die
Gotteskrieger die Zivilbevölkerung in der Stadt Kobane abschlachten,
wäre die Hoffnung auf einen schlagkräftigen Partner der USA auf dem
Boden verflogen.
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