(ots) - Die massiven Ausrüstungsprobleme bei der
Bundeswehr haben auch Folgen für die zivile Seenotrettung. Nach
Recherchen des Radioprogramms NDR Info und von Tagesschau.de steht
der Bundeswehr bei Notfällen in Nord- und Ostsee momentan nur ein
einsatzbereiter Rettungshubschrauber vom Typ "Sea King" zur Verfügung
- am Standort des Marinefliegerkommandos im niedersächsischen
Nordholz. An den so genannten "Search and Rescue"-Außenstellen (SAR)
Helgoland und Warnemünde sind keine Hubschrauber vorhanden. Und das,
obwohl diese "ständig besetzt sind" - wie die Marine auf ihrer
Internetseite schreibt. Ein Sprecher der Marine teilte auf Anfrage
mit, sollte sich die "Materiallage entspannen, kann auch durch die
Nutzung dieser Außenstellen der SAR-Dienst intensiviert werden".
Der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses im Deutschen
Bundestag, Hans-Peter Bartels, bezeichnete diese Situation als
"extrem ärgerlich". Er kritisierte, "das Management der Aufgabe
Seenotrettung an den Küsten ist momentan nicht perfekt". So liege
Nordholz zwar sehr nah an der Nordsee, aber sehr weit von der
polnischen Grenze. "Und bis dahin geht der Abdeckungsbereich",
erklärte Bartels. Die Seenotrettung habe die Bundeswehr vom
Bundesverkehrsministerium übernommen. "Das muss man dann auch leisten
können", betonte der SPD-Politiker. Das Verkehrsministerium wollte
sich auf Anfrage nicht zu dem Thema äußern.
Noch deutlichere Kritik kommt von Bundeswehr-Experten. Nach
Meinung des Bundesvorsitzenden der "Interessengemeinschaft des
fliegenden und luftfahrzeugtechnischen Personals der Transport- und
Hubschrauberverbände der Bundeswehr", Oberstleutnant a. D. Reinhard
Schlepphorst, ist die Bundeswehr nicht zu einer effektiven
Seenotrettung in der Lage. "Bei der derzeitigen Materiallage ist das
derzeit nicht möglich", sagte Schlepphorst NDR Info und
Tagesschau.de. Hinzu komme, dass die Bundeswehr nicht genug
Hubschrauber habe, um ihren Piloten und Besatzungsmitgliedern die
Erfahrung mitzugeben, die sie eigentlich bräuchten, um einen sicheren
Flugbetrieb durchzuführen. Dass momentan kein einsatzbereiter "Sea
King"-Hubschauber auf Helgoland stationiert sei, könne im Notfall bei
einem Einsatz in der Region Verzögerungen von bis zu 25 Minuten
bedeuten.
Auch in der Wirtschaft ist das Thema angekommen. "Uns sind die
Ausrüstungsprobleme im Bereich SAR-Hubschrauber bekannt", so Ralf
Nagel, Geschäftsführendes Präsidiumsmitglied des Verbandes Deutscher
Reeder, zu NDR Info und Tagesschau.de. Da private Anbieter im
Bedarfsfall einspringen würden, bestehe derzeit keine Gefahr, dass
Seeleuten im Notfall nicht geholfen werden könne. "Für die Seeleute
an Bord ist entscheidend, dass im Notfall rechtzeitig professionelle
Hilfe zur Stelle ist. Dies zu gewährleisten ist Aufgabe der
staatlichen Daseinsfürsorge", betonte Nagel allerdings.
Deutschland ist aufgrund eines bereits 1956 abgeschlossenen
internationalen Abkommens verpflichtet, in Nord- und Ostsee bei
Notfällen eine "flächendeckende Rettungskette" aufzubauen.
Verantwortlich dafür sind einer Verwaltungsvereinbarung zufolge die
Bundesministerien für Verkehr und Verteidigung.
Nach Angaben der Marine und der Deutschen Gesellschaft zur Rettung
Schiffbrüchiger, mit der die Bundeswehr bei der Erfüllung dieser
Aufgabe seit Jahrzehnten kooperiert, wird bei Einsätzen mittlerweile
vor allem auf zivile Rettungsflieger und auf Hubschrauber
zurückgegriffen, deren Finanzierung die Industrie sicherstellt - für
Notfälle in Offshore-Windparks etwa. Verzögerungen bei Notfällen
aufgrund der defekten Bundeswehr-Hubschrauber habe es "seitens der
Marine" noch nie gegeben, so ein Marine-Sprecher weiter. Unklar ist,
ob vor allem bei einem nächtlichen Großschaden genügend
Rettungshubschrauber verfügbar wären, denn nach offiziellen Angaben
haben nur 15 Prozent der zivilen Rettungsflieger eine Zulassung für
Nachtflüge.
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