(ots) - Dass von EU-Gipfeln niemand so ganz glücklich,
aber auch niemand zu Tode betrübt nach Hause fährt, liegt im Wesen
der 28er Gemeinschaft. Die Europäische Union ist ein Staatenclub, der
sich noch immer auf den kleinsten verkraftbaren Nenner verständigen
konnte. Lieber biedere Hausmannskost, die man in der jeweils eigenen
Hauptstadt servieren kann, als ein anspruchsvolles Menü. Bei den
Klimaschutzzielen etwa wurden die Hürden so niedrig gelegt, dass auch
die Polen oder Briten darüber hinweg kommen dürften. Das ist freilich
kein großes Unglück, immerhin sind die Europäer mit klaren
Reduktionszielen dem Rest der Welt voraus. Doch ein Ruhmesblatt ist
es eben auch nicht. Mit dieser Klimapolitik light ist der
Herausforderung der Erderwärmung kaum beizukommen. Der künftige
EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, einst ganz und gar nicht
Wunschkandidat von Angela Merkel, versucht indes zumindest, der EU
ein ambitioniertes Ziel zu geben. Die gewaltigen Wachstumdellen in
Südeuropa, von Griechenland, Frankreich bis Italien, vor Augen, geht
der Luxemburger daran, der Wirtschaft in der Union mit einem
300-Milliarden-Euro-Investitionsprogramm, verteilt auf drei Jahre,
einen kräftigen Schub zu geben. Das ist auch bitter nötig, denn die
wirtschaftliche Malaise in einigen Ländern, mit horrender
Arbeitslosigkeit und sozialen Verwerfungen, könnte das Vertrauen in
die EU weiter unterhöhlen. In nahezu allen Ländern feiern mehr oder
weniger radikale Europa-kritische Parteien Wahlerfolge, von der
britischen Ukip eines Nigel Farage, der französischen Front National
unter Marine le Pen bis zur deutschen AfD mit Bernd Lucke. Mit der
süffisanten Bemerkung, dass Sparen alleine kein Wachstum schaffe,
distanzierte sich Juncker zumindest teilweise von der harten Berliner
Sparpolitik. Wahrscheinlich werden auch Paris und Rom etwas mehr Zeit
bekommen, um ihre Haushalte in Ordnung zu bringen. Den Staatshaushalt
so auszuquetschen, wie im Falle Griechenlands, wird bei den beiden
wesentlich gewichtigeren Volkswirtschaften im Euro-Raum nicht
funktionieren. Die "schwarze Null", wie sie sich Berlin vorgenommen
hat, kann nicht für alle EU-Staaten gelten. Die Kanzlerin wird die
Stirn runzeln, den Koalitionspartner von der SPD wird es freuen.
Dabei setzt Juncker ganz und gar nicht auf neue Schuldenmacherei,
nicht auf ein rasch abbrennendes Strohfeuer, wie ihm manche Kritiker
vorschnell vorwerfen. Er will die Investitions-Milliarden vielmehr in
den EU-Strukturfonds und bei der Europäischen Investitionsbank
gewissermaßen "zusammenkratzen". Geld ist in den europäischen Töpfen
genug vorhanden, auch für Junckers milliardenschweres
Anschub-Programm. Freilich wird es darauf ankommen, dass dieses Geld
nicht irgendwie für Wachstum ausgegeben wird, sondern ganz
zielgerichtet in nachhaltige Infrastrukturprojekte, in digitale
Kommunikation und Sicherheit, in erneuerbare Energien und Netze, in
Bildung, Forschung und Entwicklung fließt. Denn in diesen Bereichen
droht der alte Kontinent, von der globalen Konkurrenz überflügelt zu
werden. In einigen Bereichen ist Europa bereits abgehängt. Der
59-jährige neue Kommissionspräsident - er verhandelte bereits mit
Helmut Kohl und Theo Waigel vor über zwanzig Jahren über
Euro-Einführung und -Stabilitätspakt - wird allerdings selbst am
besten wissen, dass EU-Gelder verführerisch sein können. Ohne
effektive - was nicht heißt noch bürokratischere - Kontrollen wird es
nicht gehen. Hinter dem fiskalisch, technisch und bürokratisch
anmutenden Großprojekt Junckers steckt indes das große politische
Ziel, die EU fit für die Zukunft, attraktiv für seine Bürger zu
machen. Die EU-Staaten müssen den Nachweis antreten, dass ihr
Gesellschaftsmodell, das auf Demokratie, sozialer Marktwirtschaft und
Rechtsstaatlichkeit beruht, im Wettbewerb mit nicht so demokratischen
Ordnungen auf der Welt bestehen kann. Der Erneuerungsschub, den der
erfahrene Fahrensmann Juncker vorhat, kommt da gerade recht.
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