(ots) - Dass der Streik bei der Bahn kürzer ausgefallen
ist als gedacht, war für viele Wochenendpendler eine Erleichterung.
Auch wenn sich der Zugverkehr gestern noch nicht vollkommen
normalisiert hatte. Aber nach dem Streik ist vor dem Streik. Beide
Parteien befinden sich noch immer in einem völlig verfahrenen
Tarifkonflikt, der dringend eine Lösung braucht. Das Problem ist,
dass ein ganzes Konglomerat von Interessen im Spiel ist. Das macht
die Suche nach einem vernünftigen und für beide Seiten tragbaren
Ergebnis so schwierig. Da hilft nur Reden und Verhandeln, auch wenn
der Chef der Lokführergewerkschaft GdL, Claus Weselsky, und sein
Gegenüber von der Bahn, Personalchef Ulrich Weber, nicht gut
miteinander können. Eine Schlichtung wäre daher eine sinnvolle Idee.
Einmal abgesehen vom Ärger für Millionen von Bahnreisende: Was hat
der Ausstand bisher gebracht? Der GdL wurde per Gericht bestätigt,
dass "durch den Streik weder rechtswidrige Forderungen erhoben noch
gegen die Friedenspflicht verstoßen" wird. Der Streik sei auch bei
Berücksichtigung aller Umstände nicht unverhältnismäßig und damit
nicht zu verbieten, so der Richter. Das klingt nach einem klaren Sieg
für Weselsky. Mit einem zufriedenen Lächeln hat der GdL-Chef die
Entscheidung des Gerichts aufgenommen, um dann in einer "Geste der
Versöhnung" den Streik aus freien Stücken zu verkürzen. Doch Weselsky
erweist dem eigentlichen Gewerkschaftsgedanken einen Bärendienst: Er
vertritt Partikularinteressen, die darauf abzielen, die
Machtverhältnisse innerhalb der beiden Bahngewerkschaften zu
verschieben. Er will der größeren Eisenbahngewerkschaft EVG die
Zuständigkeit für die Zugbegleiter und das Servicepersonal streitig
machen und so als GdL an Einfluss gewinnen. Dabei sollte das zentrale
Ziel einer Gewerkschaft - ihr Wesenskern - die Solidarität der
gesamten Arbeitnehmerschaft sein. Je mehr sich
Arbeitnehmervertretungen aufsplitten, um so weiter entfernen sie sich
davon. Zu beobachten ist dieser Trend schon länger. Inzwischen ist
aber auch die Politik hellhörig geworden und bastelt am
Tarifeinheitsgesetz. Bereits Anfang Dezember soll es im Kabinett
beschlossen werden. Damit mischt sich der Staat in Bereiche ein, aus
denen er sich eigentlich heraushalten sollte. Doch das von
Eigeninteressen bestimmte Agieren kleinerer Spartengewerkschaften
provoziert dieses Einschreiten, weil durch Tarifauseinandersetzungen
immer öfter innergewerkschaftliche Konflikte auf dem Rücken der
Bevölkerung ausgetragen werden. Die Arbeitnehmervertreter schneiden
sich damit ins eigene Fleisch und schaden den Interessen ihrer
Mitglieder. Konkurrierende Gewerkschaften sind zwar erlaubt. Aber
nicht alles, was erlaubt ist, ist auch sinnvoll. Wenn innerhalb eines
Betriebs Mitarbeiter längere Schichten schieben als ihre Kollegen,
diese dafür vielleicht kürzere Wochenenden haben und womöglich noch
andere Löhne bekommen, ist niemandem gedient. Bei unterschiedlichen
Arbeitsbedingungen innerhalb derselben Beschäftigungsgruppe ist der
Ärger vorprogrammiert - und der Gesetzgeber fängt an, die rechtlichen
Vorgaben zu überdenken. Das geplante Tarifeinheitsgesetz will
konkurrierende Vereinbarungen ausschließen. Ausgehandelt würden
Verträge demnach mit der Arbeitnehmervertretung, die die Mehrheit der
Beschäftigen vertritt. Für die GdL hätte ein solches Gesetz Folgen,
ihre Expansionspläne würden durchkreuzt. Der aktuelle Konflikt bei
der Bahn ist aber nur die Spitze eines Eisbergs. Die Gewerkschaften
stehen als Tarifpartner vor der Grundsatzfrage: Was bedeutet
Solidarität? Verantwortung für alle? Die Antwort steht noch aus.
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