(ots) - Vor einem Jahr zerplatzte auf dem Kiewer
Unabhängigkeitsplatz der Träum von einer erneuten friedlichen
Revolution in der Ukraine. Rund zehn Jahre zuvor hatte die einstige
Sowjetrepublik mit der "orangenen Revolution" aufbegehrt und den
Wahlbetrug des Mokau-freundlichen Politbürokraten Viktor Janukowitsch
verhindert. Dagegen kam Viktor Justschenko an die Macht, der Julia
Timoschenko zur Regierungschefin machte. Man kann die dramtischen
Ereignisse des vergangenen Jahres nur verstehen, wenn man sich dieser
Vorgeschichte erinnert. Die jüngere Geschichte der Ukraine ist nicht
nur die blutige Abfolge russischer Annektionen und Infiltrationen,
von der Krim angefangen bis jetzt in der Ostukraine, sondern auch
eine Folge verpasster Chancen, bitterer Enttäuschungen und
politischer Versäumnisse. In Kiew, in Moskau, aber auch in den
westlichen Hauptstädten in Brüssel, Berlin und Washington. Die
brutale und völkerrechtswidrige Landnahme sogenannter Separatisten,
die in Wirklichkeit eine hochgerüstete 5. Kolonne Wladimir Putins
sind, ist durch nichts zu rechtfertigen. Die blutigen Militäraktionen
der russischen Freischärler sind eine flagrante Verletzung des
Völkerrechts, die nicht hingenommen werden dürfen. Putins Pläne für
ein neues Russland sind ganz klar expansionistisch und mit geltenden
völkerrechtlichen Vereinbarungen, etwa dem OSZE-Vertrag oder
Budapester Abkommen von 1994, das die Unabhängigkeit und Grenzen der
Ukraine eindeutig regelt, unvereinbar. Allerdings gerät unter dem
Eindruck des Kriegslärms in der Ostukraine schnell in Vergessenheit,
dass auch in Kiew vieles falsch gemacht wurde. Die seit einem Jahr
von der ukrainischen Mehrheit, vor allem im Westen des Landes
angestrebte Anbindung an die EU, hat die bereits vorhandene latente
Teilung des Landes dramatisch vertieft. Der Riss ging ohnehin quer
hindurch zwischen dem einst habsburgisch-katholisch geprägten Westen
einerseits und dem mehrheitlich von russischstämmigen Ukrainern
bewohnten Osten. Seit Justschenko - und in den Jahrzehnten zuvor -
ist es nicht gelungen, dass Land zu einer Nation zu formen. Putin
stößt nun lediglich in die klaffenden Widersprüche der Ukraine vor,
nutzt sie brutal für seine Interessen aus. Die Revolution des Maidan
2014 blieb unvollendet, seit dem Krieg in der Ostukraine ist sie
vollends stecken geblieben. Das Land ächzt unter den Auswirkungen des
Krieges, aber auch unter Korruption und Inflation. Die Bürokratie in
Kiew hat mit der jetzigen Maidan-Regierung nicht abgenommen, und
schier allmächtige Oligarchen haben die Wirtschaft weiterhin fest im
Griff. Die gravierenden Probleme der Ukraine können nur mit
internationaler Hilfe gemeistert werden. Aber Kiew muss dazu selbst
die Voraussetzungen schaffen. Wichtiger als westliche Waffen sind für
die Ukraine wirkliche Wirtschaftsreformen, bürgerliche Freiheiten,
der Abbau bürokratischer Hemmnisse, aber auch eine ordentliche
Gesundheitsversorgung und ein soziales Netz, das die Armen vor dem
Absturz ins Elend bewahrt. Putin etwa punktet auf der Krim auch mit
verdoppelten Renten und in der Ostukraine mit Versorgung. Der
gestrige Besuch von Joachim Gauck und das Unterhaken beim
ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko auf dem Maidan waren ein
wichtiges Signal dafür, dass Berlin Kiew nicht im Stich lässt. Solche
Zeichen der Hoffnung sind enorm wichtig. Aber es braucht noch viel
mehr - auch eine dauerhafte Verständigung mit Moskau und womöglich
eine Teilautonomie des Landesostens -, damit die Ukraine gedeihen
kann.
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