(ots) - Der Mord an dem russischen Oppositionspolitiker
und Kreml-Kritiker Boris Nemzow hat in der Ukraine die Liste der
Probleme noch länger werden lassen. Nicht genug damit, dass sich
mitten in der Krise im Osten ein neuer Gasstreit mit Russland
anbahnt. Mit Nemzows Tod haben all die Kräfte Auftrieb erhalten, die
eine militärische Lösung des Konflikts im Donbass fordern. Die
Hoffnung auf eine baldige Entspannung schwindet - und Kiew tut wenig,
um das zu ändern. Im Gegenteil. In der Ukraine brennt es an allen
Ecken - trotz der Verlautbarungen der OSZE-Beobachter, die in den
vergangenen Tagen Hoffnung auf eine dauerhafte Waffenruhe
signalisiert hatten und sich zufrieden mit der Umsetzung der
Minsk-II-Vereinbarungen zeigten. Die OSZE-Sonderbotschafterin Heidi
Tagliavini ging in einer UN-Sondersitzung in New York sogar noch
einen Schritt weiter: Sie sehe "ermutigende Anzeichen für eine
Stabilisierung der Lage", sagte sie. Sicher: Die Zahl der aktiven
Kampfhandlungen im Donbass ist seit rund einer Woche deutlich
zurückgegangen. Doch bedeutet das tatsächlich, dass die
Konfliktparteien nun dauerhaft die Waffen niederlegen? Viele Zeichen
sprechen dagegen. So ist zum Beispiel bisher nicht bekannt, wo die
pro-russischen Separatisten ihre schweren Waffen hinschaffen, die sie
seit Tagen von der Frontlinie abziehen. Die sonst eher
öffentlichkeitsscheuen Separatisten hatten in den vergangenen Tagen
scharenweise Reporter eingeladen, die den Abzug schweren Geräts
filmen durften. Auch die Reise einer Delegation ukrainischer
Politiker und Sicherheitsexperten vergangene Woche nach Washington
stimmt bedenklich. Ukrainische Medien veröffentlichten ganz
unverhohlen die Liste jener Waffen, die Kiew aus den USA erwartet.
Die Ukraine steht zwar kurz vor dem Staatsbankrott, für
Waffeneinkäufe in aller Welt sind aber offenbar genügend Mittel
vorhanden. Auch in Washington nimmt die Bereitschaft zu, der Ukraine
stärker als bisher militärisch zu helfen. In der US-Army werden
derzeit Soldaten mit ukrainischen Sprachkenntnissen gesucht. Und dann
war Präsident Petro Poroschenko zu Wochenbeginn in Abu Dhabi und hat
dort eine internationale Waffenmesse besucht. Mit den Vereinigten
Arabischen Emiraten wurden Verträge zur militärischen und
wirtschaftlichen Zusammenarbeit geschlossen. Die Kiewer Regierung
steht vor einer Zerreißprobe: Während in Poroschenkos Partei die Rufe
nach Reformen in Wirtschaft, Verwaltung und vor allem im
Energiesektor lauter werden, blockiert die Partei von
Ministerpräsident Arsenij Jazenjuk viele Vorhaben. Selbst
Regierungsmitglieder wie Energieminister Wladimir Demtschischin
kritisieren den Ministerpräsidenten öffentlich. In einem Interview
mit dem ukrainischen Wochenmagazin "Fokus" klagt der Minister, nicht
nur die Oligarchen versuchten, die Reformen aufzuhalten, "auch
Jazenjuk steht mehr im Wege, anstatt bei den Reformen zu
unterstützen". Die nächsten Tage könnten Hinweise darauf geben, ob
sich die Machtverhältnisse in Kiew verschieben. Anfang der Woche
kommt das Parlament zu einer Sondersitzung zusammen, um den Haushalt
für 2015 nachzubessern. Die Geldgeber des Internationalen
Währungsfonds haben darauf bestanden, noch einmal ans Rentenniveau
und die Verbraucherpreise für Energie heranzugehen. Das bedeutet:
Große Teile der Bevölkerung müssen den Gürtel noch enger schnallen.
Ob alle fünf Regierungsparteien den Gesetzen zustimmen, ist unsicher.
Offenbar planen Ministerpräsident Jazenjuk und Präsident Poroschenko
auch eine Umbesetzung des erst im Dezember 2014 zusammengestellten
Kabinetts. Am 11. März soll sich entscheiden, wer neu in die
Regierung kommt. Dann wird sich auch zeigen, ob Falken oder Tauben in
Kiew die Richtung bestimmen.
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