(ots) -
Sperrfrist: 28.04.2015 18:00
Bitte beachten Sie, dass diese Meldung erst nach Ablauf der
Sperrfrist zur Veröffentlichung freigegeben ist.
Die neuen Maßnahmen zur Verminderung des Antibiotika-Einsatzes in
der Tierhaltung greifen nach Recherchen von NDR, WDR und Süddeutscher
Zeitung noch nicht. Mithilfe einer statistischen Grundlage wollte das
Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit
feststellen, wie häufig Landwirte in ihren Ställen Antibiotika geben
und die Medikamentengabe verringern. Betriebe, die innerhalb eines
längeren Zeitraums deutlich über einem statistisch ermittelten
Vergleichswert, der so genannten Kennzahl, liegen, sollen staatliche
Sanktionen fürchten. Doch nun zeigt sich, dass die statistische
Grundlage nur bedingt brauchbar ist.
Die erstmals Ende März vom Bundesamt für Verbraucherschutz und
Lebensmittelsicherheit veröffentlichten Kennzahlen basieren auf
verzerrten und fehlerhaften Daten aus den Bundesländern. Eine Abfrage
bei allen zuständigen Ministerien hat ergeben, dass bundesweit
tausende landwirtschaftliche Betriebe den jeweils zuständigen Stellen
keine Angaben übermittelt haben. Die geltenden Vorschriften sehen
vor, dass sie trotzdem in die Kennzahlenberechnung einfließen - als
hätten die Landwirte in ihren Ställen keine Medikamente eingesetzt.
Meldepflichtig sind Betriebe ab einer bestimmten Größe, die in ihren
Ställen Antibiotika verabreicht haben. Die vollständige Erfassung ist
für die Statistik wichtig, da von den errechneten Kennzahlen abhängt,
welcher Landwirt den Behörden einen Plan zur Reduzierung der
Antibiotika-Gaben vorlegen muss.
In Nordrhein-Westfalen haben rund 8700 von ca. 11.000
meldepflichtigen Betrieben die Behörden darüber informiert, ob und
wie häufig diese Präparate zum Einsatz gekommen sind. "Da besteht
Unsicherheit, wenn so viele Betriebe nicht gemeldet bzw. falsch
gemeldet haben. Für die vollständige Analyse der Antibiotika-Gaben
ist auch eine vollständige Meldung notwendig. Es verstellt den
Blick, wenn die Statistik so verzerrt wird", sagte NRW-Umweltminister
Johannes Remmel (Grüne).
Die Angaben aus den Ministerien zeigen, dass die Länder die
Pflicht zur Führung der Statistik unterschiedlich umgesetzt haben. In
Schleswig-Holstein liegt für 40 Prozent der Tierbestände kein
Datenmaterial vor. In Baden-Württemberg haben mehr als die Hälfte der
Betriebe keine Angaben übermittelt. Bayern, Sachsen und Brandenburg
können keinerlei Aussagen über die erhobenen Daten machen.
Trotz noch nicht abgeschlossener Plausibilitätsprüfung will das
Land Niedersachsen 6000 von 21.000 erfassten Betrieben dazu
verpflichten, einen Antibiotika-Reduktionsplan zu erstellen.
Landwirtschaftsminister Christian Meyer (Grüne) bezeichnete den
Medikamenten-Einsatz in der niedersächsischen Landwirtschaft als
"erschreckend".
Die Agrar-Expertin des Bundes für Umwelt und Naturschutz (BUND),
Reinhild Benning, hält den Auftakt der
Antibiotika-Kennzahlenerfassung für ein "Desaster". Die Organisation
misstraue der Datenbank und halte sie für ungeeignet, zur Senkung des
Antibiotika-Einsatzes beizutragen.
Die Bundesregierung hält das Erfassungssystem für belastbar.
Bernhard Kühnle, Leiter der Abteilung Tiergesundheit beim
Bundeslandwirtschaftsministerium, betonte zwar, einen fehlerfreien
Start habe man nicht erwarten können, aber "wenn es jetzt richtig
vollzogen wird, wird es auch unmittelbar zu einer Senkung des
Arzneimitteleinsatzes führen. Und das ist das Hauptziel".
Seit Mitte vergangenen Jahres müssen Tierhaltungsbetriebe aufgrund
neuer Vorschriften im Arzneimittelgesetz alle sechs Monate an eine
Datenbank übermitteln, wie viele Antibiotika sie in einem
festgelegten Zeitraum eingesetzt haben. Daraus errechnet das
Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit für
mehrere Tierarten eine Kennzahl. Betriebe, die deutlich über der für
sie geltenden Kennzahl liegen, müssen einen
Antibiotika-Reduktionsplan entwickeln. Ziel ist, so die Ausbreitung
von multiresistenten Keimen zu verhindern.
Pressekontakt:
Norddeutscher Rundfunk
Presse und Information
Ralph Coleman
Tel: 040-4156-2302
http://www.ndr.de
https://twitter.com/ndr