(ots) - GDL-Streik, neunter Aufzug. Es herrscht auf
vielen Bahnhöfen wieder aufgeregter Stillstand, vor allem der Frust
von Fernreisenden, Pendlern und Menschen, die eigentlich mit der
S-Bahn zur Arbeit fahren wollten. Der nunmehr neunte Streikaufguss
der Gewerkschaft der Deutschen Lokomotivführer zerrt nicht nur wieder
an den Nerven und zwingt zur Improvisation - ausgerechnet, wenn man
über Pfingsten eigentlich mit der Bahn verreisen wollte. Doch mit dem
neuerlichen Arbeitskampf verspielt die Spartengewerkschaft auch die
letzten Sympathien von Bahnkunden. Da mag der offenbar unbeirrbare
GDL-Chef Claus Weselsky noch so oft erklären, dass auch dieser Streik
rechtmäßig und verhältnismäßig sei. Er ist in Wirklichkeit völlig
überflüssig und zudem maßlos überzogen. Wenn Weselsky wirklich eine
Lösung wollte, hätte er längst einer Schlichtung zustimmen können.
Weselsky treibt seine Mitglieder dagegen in eine fundamentale
Machtprobe, die nur Verlierer hinterlassen wird: verärgerte
Bahnfahrer, Unternehmen und Deutsche Bahn sowieso, aber auch seiner
Gewerkschaft erweist der Sachse mit seiner
Alles-oder-Nichts-Strategie einen Bärendienst. In einem Land, das
über eine weitgehend funktionierende Tarifpartnerschaft verfügt,
erfindet Weselsky beinahe den Klassenkampf neu: die da oben im
Bahnvorstand oder wir hier unten in den Führerständen der
Lokomotiven. Anders als sein Vorgänger an der GDL-Spitze Manfred
Schell, der in Tarifverhandlungen auch ein harter Hund sein konnte
und Streiks führte, scheint Weselsky das Prinzip des Kompromisses,
der irgendwann gefunden werden muss, ein Fremdwort. Dabei geht es im
jetzigen Tarifkampf der GDL längst nicht mehr um mehr Geld, weniger
Arbeitszeit und vernünftigere Schichtpläne für Lokführer, sondern vor
allem darum, Macht und Einfluss nicht zu verlieren. Weselsky und der
ihm bedingungslos folgende GDL-Vorstand bestehen darauf, auch für die
bei ihnen organisierten Rangierlokführer oder Zugbegleiter einen
eigenen Tarifvertrag abzuschließen. Und zwar einen besseren als
jenen, den die größere Eisenbahn-Verkehrsgesellschaft (EVG) demnächst
mit der Bahn abschließt. Statt mit der EVG eine Tarifgemeinschaft zu
bilden, die unter dem Strich mehr für die Bahnbeschäftigten
herausholen könnte, pocht die GDL auf absolute Eigenständigkeit.
Dabei zeigen Tarifgemeinschaften in anderen Branchen, dass keine der
beteiligten Arbeitnehmerorganisationen ihre Eigenständigkeit aufgeben
muss. Obendrein liefert die störrische GDL nun jedoch auch der großen
Koalition Argumente in die Hand, die die Tarifeinheit in einem
Unternehmen per Gesetz durchsetzen wollen. Am Freitag wird der
Bundestag das entsprechende Gesetz verabschieden. Darüber, ob dieses
von Arbeitsministerin Andrea Nahles gepushte Gesetz
verfassungskonform ist oder nicht, tobt derweil ein heftiger Streit.
Unter Politikern und unter Juristen. Kommt die umstrittene
gesetzliche Tarifeinheitsregel, wird sie über kurz oder lang vom
Verfassungsgericht geprüft werden. Ausgang offen. Dabei lieferte
nicht etwa die GDL oder die gleichfalls streikerprobte Gewerkschaft
der Piloten Cockpit den Anstoß für dieses Gesetz, sondern das
Bundesarbeitsgericht. Vor fünf Jahren hoben die Richter in Erfurt den
bislang geltenden - und vernünftigen - Grundsatz der Tarifeinheit
auf, weil der gegen das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit verstoße.
Gefrusteten Reisenden werden die juristischen Hintergründe und
politischen Scharmützel indes ziemlich egal sein. Sie bleiben einfach
auf der Strecke.
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