(ots) - Am Ende ist der Tarifkonflikt bei der Bahn
wieder das, was er mal war: Ein Tarifkonflikt. Im vermeintlichen
Kampf Davids gegen Goliath haben die beiden Schlichter Bodo Ramelow
und Matthias Platzeck die Steinschleuder einkassiert, die
Kontrahenten an einen Tisch gesetzt und ein Ergebnis erzielt, mit dem
beide Seiten leben können. Dass der Konflikt überhaupt so eskalieren
konnte, liegt an drei Faktoren: Da ist zum einen die Bedeutung der
Bahn als öffentliches Verkehrsmittel. Dadurch wurde der Arbeitskampf
der GDL, anders als beispielsweise die Streiks in einem
Industriebetrieb, vom ersten Tag an für Millionen Menschen spürbar.
Dem GDL-Chef Claus Weselsky war damit eine enorme Öffentlichkeit
gewiss, die er allerdings, Punkt zwei, nur begrenzt für sich zu
nutzen wusste. Der sperrige Sachse sah und sieht sich einzig und
allein seinen Gewerkschaftsmitgliedern und deren Interessen
verpflichtet. Dass in seinem Verständnis zur Wahrung dieser
Interessen unabdingbar die Ausweitung seiner Tarifabschlusskompetenz
auch auf andere Berufsgruppen jenseits der Lokführer gehört, legten
ihm viele als Machthunger aus. Er wiederum sah sich einer
Hetzkampagne ausgesetzt: zum einen befördert durch die Presse, die
ihn schon mal als "größenbahnsinnig" bezeichnete, zum anderen durch
Bahn und Bundesregierung. Das geplante Tarifeinheitsgesetz empfindet
er als direkten Angriff auf sich und seine Gewerkschaft. Das
wiederum, Punkt drei, gab dem Konflikt eine gesamtgesellschaftliche
Dimension. Die Diskussionen im Bahnkonflikt drehten sich bald nicht
mehr um die Arbeitsbedingungen der Lokführer und ihrer Kollegen im
Bahnbetrieb, sondern um die Grundsätze der Arbeitnehmermitbestimmung
im Allgemeinen. Welche Einflussmöglichkeiten sollen kleine und
kleinste Berufsgewerkschaften auf Tarifverhandlungen in Zukunft noch
haben? Nach einem knappen Jahr mit neun Bahnstreiks, Millionen
entnervten Bahnkunden und hunderten Millionen Euro Schaden für
Industrie und Wirtschaft nun also eine Einigung zwischen den
Konfliktparteien. In einem "umfassenden Programm zur Reduzierung der
Belastung von Lokführern" stellt die Bahn 300 zusätzliche Zugführer
ein, um so den Abbau von Überstunden zu ermöglichen und die
Arbeitsbedingungen zu verbessern. Dieses Ergebnis hätte Weselsky als
Vertreter der Lokführer ohnehin aushandeln können. Aus seiner
Perspektive das wohl wichtigste Resultat ist die Zusage der Bahn, bis
2020 weiterhin mit der GDL nicht nur über die Tarifbedingungen der
Lockführer, sondern auch des von ihr vertretenen Zugpersonals zu
verhandeln - und das unabhängig vom Inkrafttreten des
Tarifeinheitsgesetzes. Damit bekommt die GDL ihre Tarifverträge für
die einzelnen Berufsgruppen. Diese weichen aber zumindest in diesem
Jahr nicht wesentlich von den bereits mit der EVG getroffenen
Vereinbarungen ab. So hat auch die Bahn das erreicht, was sie wollte:
Betriebseinheit, keine unterschiedlichen Vergütungen derselben
Berufsgruppen innerhalb eines Betriebes. Angesichts der Geschichte
dieses Konfliktes das wohl erstaunlichste Ergebnis ist aber nicht
nur, dass es den Kontrahenten überhaupt gelungen ist, zu einer
Einigung zu kommen. Vor allem auch die Zusatzvereinbarung ist
bemerkenswert. Sie sieht bis 2020 ein verbindliches
Schlichtungsverfahren vor, um eine ähnliche Eskalation zu vermeiden.
Die Zusatzvereinbarung weist den Weg zurück in ein System der
Sozialpartnerschaft. Diese Partnerschaft war lange Zeit einer der
wesentlichen Bausteine des wirtschaftlichen Erfolges der
Bundesrepublik. Denn sie garantiert im Idealfall - und anders als in
anderen Ländern - dass die Gewerkschaften die Arbeitnehmerinteressen
im Dialog mit den Arbeitgebern vertreten. Und den Streik nur als das
allerletzte Mittel im Arbeitskampf sehen.
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