(ots) - Das "Feigling"-Spiel ist Filmkennern spätestens
seit dem James-Dean-Klassiker " ... denn sie wissen nicht, was sie
tun" ein Begriff. Dabei fahren zwei Fahrzeuge mit voller
Geschwindigkeit aufeinander zu, wissend, dass ein Frontal-Unfall für
beide Seiten tödlich wäre. Es geht darum, wer als Erster ausweicht.
Dieses Szenario ist eines der bekanntesten in der sogenannten
Spieltheorie, einem Zweig der Mathematik, beziehungsweise der
Wirtschaftswissenschaften. Ihr Ziel ist, Verhalten in gewissen
Ausnahmesituationen zu untersuchen und daraus Strategien
zuentwickeln. Einer, der sich mit der Spieltheorie befasst hat, heißt
Gianis Varoufakis und ist griechischer Finanzminister. Niemand weiß,
welche Strategie hinter dem Verhalten Griechenlands in der Eurokrise
steckt oder ob es überhaupt noch eine Strategie gibt. Doch das
Feigling-Spiel läuft seit Monaten. Nur gibt es weder Gewinner noch
Verlierer. Griechenland hat die Euro-Partner mehrfach brüskiert. Es
hat Angebote abgelehnt und Fristen verstreichen lasen. Zur Wahrheit
gehört aber auch, dass EZB, IWF und EU-Kommission angesichts der
fortlaufenden Probleme des griechischen Staats und mit diversen
griechischen Regierungen versagt haben. Die Gläubiger haben sich als
Gläubige einer Religion des Sparzwangs erwiesen, die anderswo, etwa
in Irland oder in Portugal, heilsam war. Aber wie es so ist mit
Gläubigen, manchmal sind sie blind für andere Wahrheiten. Eine davon
lautet, dass Griechenland eben nicht Irland oder Portugal ist. Das
hätte man sehen können. Aber ebenso wenig wie man sehen wollte, dass
Griechenland beim Eintritt in den Euro für diesen Schritt nicht
vorbereitet war, war man nicht bereit zu erkennen, wann man hätte
bremsen und ausweichen sollen. Wer heute behauptet, dass ein
Ausscheiden Griechenlands aus der Euro-Zone das Problem löst, ist
beinahe so populistisch wie Tsipras und seine Regierung. Erstens hat
Varoufakis richtiger Weise darauf hingewiesen, dass sein Land sich
nicht rauswerfen lasse, weil das rechtlich nicht möglich wäre und
dieser Schritt einer angekündigten Klage nicht standhalten wird.
Zweitens wird niemand in Europa ein Land, das auch durch das Agieren
der Euroländer aus der Notlage ins Chaos abgeglitten ist, im Stich
lassen, wenn Banken geschlossen bleiben, Krankenhäuser sich keine
Medikamente und Supermärkte sich keine Lebensmittel mehr leisten
können. Aber genau das geschieht, wenn die Geldgeber Griechenland den
Hahn endgültig abdrehen - was sie längst hätten machen können,
übrigens. Die Tatsache, dass sie diesen Schritt unterlassen haben,
zeigt nur, wie unmöglich er aus vielen Gründen ist. Die Angst vor
einer humanitären Krise in der EU ist einer davon. Ein anderer ist
die berechtigte Furcht vor dem Bild, das die Gemeinschaft in die Welt
senden würde. Zuerst drastische Spar- und Reformauflagen machen, um
am Ende doch ein Mitgliedsland fallen zu lassen, würde die
historische Leistung der EU, einstige Todfeinde in Frieden und zum
gegenseitigen Nutzen zusammenzuführen, ad absurdum führen. Das würde
Populisten und EU-Gegnern innerhalb und außerhalb Europas in die
Hände spielen. Der Frontalunfall, das ultimative Ende des
Feigling-Spiels, hat sich schon längst ereignet. Es ist eher so, dass
beide Seiten, die EU und Griechenland, sich inmitten der rauchenden
Trümmer befinden und feststellen, dass sie sich nicht mehr aus ihnen
befreien können. Um das doch noch zu schaffen, sind mehrere Dinge
nötig: eine neue Regierung in Griechenland, die nicht an
Wahlversprechen gebunden ist, die unerfüllbar geworden sind. Es
braucht einen neuen Schuldenschnitt, weil Fantastilliarden von Euro
niemand mehr zurückzahlen kann. Am Ende muss eine Reform der
Gemeinschaft insgesamt stehen. Die EU braucht entweder zusätzlich zur
Gemeinschaftswährung zumindest eine gemeinsame Finanzregierung. Oder
sie setzt die Renationalisierung, die wir ohnehin schon erleben,
fort. Fest steht in jedem Fall: Die alte EU ist mit der
Griechenlandkrise Geschichte.
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