(ots) - Recep Tayyip Erdogan hat es tatsächlich getan:
Der türkische Staatspräsident hat den Friedensprozess seiner
Regierung mit der kurdischen Arbeiterpartei PKK aufgekündigt - und
sein Land damit ganz bewusst einem Drei-Fronten-Krieg näher gebracht:
Im Inneren ist die PKK nun wieder offiziell zum Feind geworden;
außerhalb der eigenen Grenzen bombardiert die Türkei absurderweise
sowohl den Islamischen Staat (IS) - als auch dessen bedeutendste
Widersacher: kurdische Kämpfer in Syrien und im Nordirak. Auf den
allerersten Blick erscheint die Taktik der Erdogan-Regierung
schizophren. Auf den zweiten aber ist sie die konsequente Fortführung
einer zynischen Doppelstrategie, die brandgefährlich ist - und die
Deutschland nicht weiter hinnehmen darf. Im Inneren bedeutet diese
Politik mehr Härte, mehr religiösen Nationalismus, weniger
Demokratie. Erdogan, der die Rechte der Kurden zu Beginn seiner
Amtszeit stärkte, entwickelt sich seit Jahren zum Autokraten: Unter
seiner Ägide werden, wie 2013 am Gezi-Park in Istanbul, Demonstranten
niedergeknüppelt, wird der Kurznachrichtendienst Twitter gesperrt,
werden unliebsame Journalisten wegen kritischen Fragen festgehalten.
Erdogans Problem: Bei den Parlamentswahlen Anfang Juni hat seine
Partei AKP nicht genug Stimmen bekommen, um ihn per
Verfassungsänderung noch mächtiger zu machen. Eine Koalition steht
noch nicht. Die Vermutung liegt nahe, dass Erdogan die Eskalation
gegenüber den Kurden jetzt vorantreibt, um sich bei Neuwahlen
verunsicherten Wählern als starker Retter präsentieren zu können -
und um straffe Nationalisten wieder für sich zu gewinnen, die im Juni
die rechtsextreme Partei MHP gewählt hatten. Auch nach Außen ist
Erdogans Politik in ihrer brutalen Logik konsequent: Seit Jahren ist
seiner Regierung die kurdische Selbstverwaltung vor allem in der
nordsyrischen Region Rojava - wo Kurden wenige Kilometer von den
Schlächtern des IS entfernt einen demokratischen, weltlichen Staat
aufzubauen versuchen - ein enormer Dorn im Auge. Den IS hingegen hat
sie jahrelang zumindest gewähren lassen, wenn nicht unterstützt: Es
gibt viele Hinweise darauf, dass Ankara den Terroristen Erdöl
abkaufte, die Grenze zu Syrien für IS-Kämpfer durchlässig ließ, dem
IS sogar Waffen lieferte. Zum Feind wurden die Fundamentalisten erst,
als sie türkische Ziele beschossen. Für Deutschland gibt es nur eine
sinnvolle Reaktion auf die brandgefährliche Politik des
Nato-Verbündeten Türkei: Es gilt, Farbe zu bekennen. Gegen einen
Kurs, der aus Machtkalkül den Flächenbrand vor Europas Toren anfacht,
der die Türkei selbst in eine extrem brenzlige Lage zu bringen droht
- und der 260 Bundeswehr-Soldaten in Gefahr bringt, die nahe der
Grenze zu Syrien stationiert sind. Die Bundesregierung muss die
Regierung Erdogan politisch unter Druck setzen - am besten im Verbund
mit so vielen Partnerländern wie möglich. Jahrelang hat der Westen
Erdogans augenzwinkernde Toleranz gegenüber dem IS toleriert - ebenso
wie Repressalien gegen die türkische Opposition. Die Bundesregierung
darf nicht zulassen, dass Erdogan nun auch den so wichtigen Dialog
mit den Kurden abbricht - und zentrale Verbündete im Kampf gegen den
IS schwächt. Besonders groß ist Deutschlands Verantwortung auch, weil
es an die Peschmerga, die kurdischen Kämpfer im Nordirak, Waffen
geliefert hat - die eines Tages auch gegen die Türkei eingesetzt
werden könnten. Geht die Eskalation weiter, droht genau das. Seit
Jahren werden die Stimmen nach mehr außenpolitischer Verantwortung
Deutschlands lauter. Verantwortung bedeutet diplomatischen Mut und
klare Worte - auch gegenüber Verbündeten auf dem Irrweg. Es ist
höchste Zeit, dass die Bundesregierung diese Verantwortung gegenüber
der türkischen Regierung übernimmt.
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