(ots) - Der Flüchtlingsnotstand wird Europa wohl noch
mehr beschäftigen als die Stabilität des Euro. Das hat Kanzlerin
Angela Merkel im ZDF-Sommerinterview gesagt - und mehr EU-weite
Einheit in Sachen Asylpolitik gefordert. Sie hat Recht. Denn was sich
dieser Tage auch in Ostbayern abspielt - Menschen, die an Autobahnen
und Gleisen abgesetzt werden, die von überforderten Polizisten in
Zügen und vollgestopften Autos entdeckt werden - ist die Folge des
großen europäischen Versagens in der Flüchtlingspolitik. Eine
Politik, die abschotten will - obwohl Abschottung offensichtlich
keine Menschen aufhält, deren Angst vor Gefahren und Elend in der
Heimat größer ist als die vor den Gefahren der Flucht. Angela Merkel
hat Recht: Europa braucht endlich eine gemeinsame Asylpolitik. Doch
sie verschweigt, dass sie eine Mitschuld am bisherigen desaströsen
Kurs Europas trägt. Seit bald zehn Jahren trägt Merkel
Regierungsverantwortung, ist sie mit den von ihr angeführten
Regierungen maßgeblich an Entscheidungen auf EU-Ebene beteiligt. Doch
Impulse für eine neue Asylpolitik hat Deutschland bisher nicht
geliefert. Im Gegenteil: Auch Deutschland verhält sich seit Jahren
unsolidarisch. Über das Dublin-Verfahren wälzen die EU-Mitglieder in
Mittel- und Nordeuropa die Verantwortung für Asylverfahren auf die
Staaten Südeuropas ab - vor allem auf Italien und Griechenland. Diese
überforderten, krisengebeutelten Staaten reagieren wiederum
unsolidarisch: Indem sie ihre Registrierungspflichten vernachlässigen
- und Flüchtlinge sehenden Auges nach Norden weiterreisen lassen.
Unsolidarisch sind auch EU-Staaten wie Tschechien und Polen, die sich
weigern, eine angemessen Zahl an Flüchtlingen aufzunehmen - weil sie
jene rechtsnationalen Ressentiments fürchten, die gerade Politiker
wie der tschechische Präsident Milos Zeman mit rassistischem
Anti-Islam-Gefasel befördern. Was sind die Sonntagsreden vom
europäischen Geist angesichts solchen Egoismus noch wert? Eine
solidarische Flüchtlingspolitik würde bedeuten, Menschen auf der
Flucht fair zu verteilen - und den Staaten Sanktionen aufzubrummen,
die keine Menschen aufnehmen oder sie unmenschlich behandeln.
Voraussetzung dafür sind legale Wege nach Europa - damit die
Zuwanderung von Anfang an zumindest teilweise gesteuert und
kontrolliert werden kann. Die bisherige EU-Flüchtlingspolitik ist
zudem kurzsichtig. Denn obwohl Politiker immer wieder die "Bekämpfung
der Fluchtursachen" anmahnen, hat sich die EU bisher immer davor
weggeduckt, die Missstände vor ihren Toren anzugehen, die Millionen
Menschen in die Flucht treiben - und an denen der Westen eine große
Mitschuld trägt. Die EU-Mitgliedsstaaten, allen voran Deutschland,
reduzieren ihre Waffenexporte in Krisengebiete der heimischen
Rüstungsindustrie zuliebe nicht. Die EU nutzt nicht einmal
ansatzweise ihre politische und wirtschaftliche Macht, um eine
gerechtere Außenhandelspolitik durchzusetzen, welche die Märkte in
Schwellen- und Entwicklungsländern nicht zerstört, sondern stärkt.
Sie tut fast nichts, um Kriege zu lösen, zu deren Eskalation der
Westen durch militärische Intervention (Afghanistan, Irak, Libyen)
oder Zauderei (Syrien) beigetragen hat. Sie hat darin versagt, nach
den Kriegen der neunziger Jahre Aufbauhilfe auf dem Balkan zu leisten
- und so Hunger, Elend und Diskriminierung zu vermeiden, die
"Wirtschaftsflüchtlinge" etwa aus Serbien und dem Kosovo in die EU
treiben. Um Fluchtursachen zu bekämpfen, bräuchte Europa eine
Außenpolitik, die nicht nur Tyrannen unterstützt, die Europa
Flüchtlinge vom Hals halten. Sondern die auch außerhalb der
EU-Grenzen Investitionen und Reformen fördert und Menschenrechte
einfordert. Eine Aufgabe, für die es europäische Visionäre braucht -
und keine Kurzsichtigen.
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