(ots) - Lori Baker hat sich einen grausamen Job
ausgesucht. Unweit der Grenze zu Mexiko versucht die
Forensik-Expertin der Baylor Universität die sterblichen Überreste
von 171 Menschen zu identifizieren. Diese fand Baker und ihr Team in
den vergangenen Jahren in nicht markierten Gräbern von Friedhöfen im
Brooks County, das etwas mehr als hundert Kilometer von der Grenze
entfernt liegt. Es sind die Leichen von Flüchtlingen und Migranten,
die in der weitläufigen Prärielandschaft elendig ums Leben kamen.
Verdurstet in der sengenden Hitze, verhungert auf dem kargen Land
oder von Schlangen zu Tode gebissen. Rancher machen vor allem in den
unerbittlichen Sommermonaten mit Temperaturen um die 40 Grad-Marke
immer wieder diese grausigen Funde. Der bettelarme Bezirk im Süden
von Texas ging zu der herzlosen Praxis über, die Toten ohne
Feststellung ihrer Identität oder Todesursache von lokalen Bestattern
vergraben zu lassen. Bakers Team fand die Leichen achtlos in die
Gräber geworfen wie die Kadaver von Straßenkötern. Mittels
DNA-Analysen versuchen sie nun die Namen der Toten zu ermitteln, um
ihnen ihre Würde zurückzugeben. Die 171 Toten von Brooks County haben
einiges gemeinsam mit den 71 Toten, die sich auf der Ladefläche eines
vollgepferchten Lkw aus Ungarn fanden. In ihrer Verzweiflung gingen
die Flüchtlinge bei dem Versuch, Sicherheit und ein menschenwürdiges
Leben zu finden, ein hohes Risiko ein. In Ungarn zahlten sie
gewissenlose Schlepper, die sie um die mit Stacheldraht und scharfen
Kontrollen "gesicherte" Grenze nach Österreich bringen sollten. In
Brooks County folgten viele den "Coyotes" genannten Führern, die sie
durch die Prärielandschaft an einem berüchtigten
Inlands-Kontrollpunkt vorbeischleusen. Nur die wenigsten Amerikaner
wissen, dass es an den Hauptausfallstraßen des Rio Grande Valley
Richtung Norden eine Art "zweite Grenze" gibt, die das Ergebnis des
ständig lauter werdenden Rufs nach immer neuen Grenzkontrollen sind.
Wer aus dem von hoher Armut und Arbeitslosigkeit gebrandmarkten Tal
heraus in die Ballungszentren von Houston oder Los Angeles will, muss
sich ein zweites Mal auf einen gefährlichen Treck begeben. Wie viele
Menschen dabei jährlich ums Leben kommen, kann niemand genau sagen,
da nur wenige "Counties" in Texas die Toten systematisch erfassen.
Entlang der 2000 Meilen langen Grenze selbst kommen jährlich im
Schnitt 400 Menschen ums Leben. Obwohl die versuchten Ãœbertritte in
den vergangenen Jahren abnahmen, blieb die Zahl der Grenztoten
einigermaßen konstant. Migrationsexperten erklären das mit dem
Abdrängen der Flüchtlinge in immer gefährlicher zu passierender
Gebiete. Einige humanitäre Initiativen wie die "Border Angles" oder
"No Border Death" versuchen entlang etablierter Schlepper-Pfade
Wasser und Lebensmittel zu deponieren. Eine Lösung für die Grenztoten
ist das nicht. Gewiss liegt die Hauptursache für Flucht vor Gewalt
und Armut zumeist in den Herkunftsländern. Das entbindet die
Zielstaaten jedoch nicht von ihrer moralischen Verpflichtung, die
Menschen mit Würde zu behandeln. Die Konsequenz aus dem grausamen
Fund in Österreich und in Texas sollte dieselbe sein. Dichte Grenzen
halten niemanden ab, der verzweifelt genug ist. Sie verschärfen nur
das Risiko für die Betroffenen, die dafür im Zweifel mit ihrem Leben
zahlen. Es gibt bessere Alternativen, die für zivilisierte Nationen
selbstverständlich sein sollten. Wer versucht, das Problem mit
Stacheldraht, Drohnen und bewaffneter Staatsgewalt in den Griff zu
bekommen, trägt Mitverantwortung für eine Situation, in der Menschen
bereit sind, lebensgefährliche Dinge zu tun.
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