(ots) - Mitarbeiter von Wachdiensten wehren sich nach
Informationen des Fernseh-Magazins "Panorama 3" vom NDR dagegen, die
medizinische Verantwortung in Flüchtlingsunterkünften übernehmen zu
müssen. In den schleswig-holsteinischen Erstaufnahmeeinrichtungen
Neumünster und Boostedt sind von abends bis morgens sowie am
Wochenende die Mitarbeiter der Sicherheitsdienste alleinige
Ansprechpartner bei allen gesundheitlichen Fragen und Problemen der
Bewohner. Medizinisches Fachpersonal ist in der Regel nur werktags
zwischen 8.00 Uhr und 16.00 Uhr vor Ort. Außerhalb dieser Zeiten
müssen die Wachleute eigenverantwortlich entscheiden, ob ein Notarzt
gerufen wird oder ob Hilfesuchende per Bus, Taxi oder mit dem
Rettungswagen ins nächstgelegene Krankenhaus geschickt werden.
Ãœbereinstimmend berichten Sicherheitsmitarbeiter in "Panorama 3"
(Sendung: Dienstag, 8. September, 21.15 Uhr im NDR Fernsehen)
außerdem, dass ihnen auch die Ausgabe von Medikamenten an die
Bewohner übertragen wurde. Darunter seien in Einzelfällen auch
verschreibungspflichtige Präparate wie Herzmedikamente oder
Psychopharmaka gewesen.
Mehrere Mitarbeiter des Wachdienstes fühlen sich mit dieser
Verantwortung überfordert. "Man ist unsicher und man hat natürlich
Angst, was verkehrt zu machen, wenn man eben falsch reagiert",
berichtet ein Wachmann gegenüber "Panorama 3". Nach eigenen Angaben
verfügen die meisten nur über rudimentäre Kenntnisse in Erster Hilfe
und sehen sich nicht in der Lage, die Schwere einer Erkrankung
verantwortungsvoll abzuschätzen. Aus Kostengründen seien sie jedoch
angehalten, nicht zu häufig Rettungswagen anzufordern.
Erschwerend kämen Verständigungsprobleme hinzu: "In einer
Nachtschicht habe ich einem Bewohner, der an Darmparasiten erkrankt
war, sein Medikament gebracht. Ich musste ihm den Beipackzettel
übersetzen", berichtet ein Mitarbeiter. "Er sprach nicht gut
englisch, das heißt, ich musste ihm quasi vorführen, wie das
anzuwenden ist. Das ist ein Zustand, der ist einfach nicht tragbar."
Andrea Dallek vom Flüchtlingsrat Schleswig-Holstein fordert, die
medizinische Versorgung in den Flüchtlings-Erstaufnahmen rund um die
Uhr sicherzustellen. "Dafür sind Wachmänner nicht zuständig, und die
meisten haben es nicht gelernt", so Dallek zu "Panorama 3". "Da haben
wir eine klare Ãœberforderung der Wachleute."
Verantwortlich für die Organisation der medizinischen Betreuung
ist das Landesamt für Ausländerangelegenheiten, das dem
schleswig-holsteinischen Innenministerium unterstellt ist. Dessen
Staatssekretärin Manuela Söller-Winkler weist den Vorwurf der
Überforderung zurück. "Die Mitarbeiter des Sicherheitspersonals
können natürlich keine Diagnose stellen, das erwartet auch niemand.
Die Ansage ist, sich zu kümmern und das Notwendige zu veranlassen."
In den Erstaufnahmestellen rund um die Uhr ärztliches Personal
vorzuhalten, sei schlicht und einfach nicht möglich. Dass
Sicherheitsmitarbeiter Medikamente ausgeben, sei allerdings nicht in
Ordnung, so Söller-Winkler zu "Panorama 3": "Sie sind nicht
qualifiziert, verschreibungspflichtige und nicht
verschreibungspflichtige Medikamente zu unterscheiden und solche
ärztlich verschriebenen Medikamente auszuteilen. Das kann nicht das
normale Verfahren sein."
Aus Sicht des verantwortlichen Sicherheitsunternehmens Secura
Protect werde die "medizinische Betreuung sowie Medikamentenausgabe
einzig und allein vom DRK und dem medizinischen Dienst
sichergestellt. Unsere Mitarbeiter sind medizinisch nicht geschult
und leisten nur Hilfe in Form von 'Erster Hilfe' wie jeder Bürger."
Allerdings räume man "Schwierigkeiten in der Anfangsphase" ein und
könne "nicht ausschließen, dass Mitarbeiter ihre Kompetenzen
überschritten haben".
Nach Informationen von "Panorama 3" wird den
Sicherheitsmitarbeitern von ihrem Arbeitgeber, der Secura Protect,
nur der gesetzliche Mindestlohn in Höhe von brutto 8,50 Euro pro
Stunde gezahlt. Das geht aus Arbeitsverträgen hervor, die dem NDR
vorliegen. Vorgeschrieben ist jedoch der schleswig-holsteinische
Landesmindestlohn in Höhe von 9,18 Euro pro Stunde. Secura Protect
teilte auf Nachfrage mit, die Firma zahle nach dem Vergabegesetz.
Staatssekretärin Söller-Winkler bestätigte, dass der
Landesmindestlohn verbindlich für öffentliche Auftragnehmer in
Schleswig-Holstein ist und bei 9,18 Euro liegt: "Das kläre ich gerne
auf, und dann ist das abzustellen."
Informationen zur Sendung auch unter www.NDR.de/panorama3
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