Ein Beitrag von Alexander Bredereck, Fachanwalt für Miet- und Wohnungseigentumsrecht Berlin und Essen, zum Urteil des Bundesgerichtshofs vom 10. Juni 2015 - VIII ZR 99/14 - bei juris.
(firmenpresse) - Ausgangslage:
Bei vorgetäuschtem Eigenbedarf des Vermieters im Rahmen einer Eigenbedarfskündigung hat der Mieter einen Anspruch auf Schadensersatz nach § 280 Abs. 1 BGB, wenn er in der Folge aus der Wohnung auszieht. Ersatz verlangt werden können dann etwa Umzugskosten, Renovierungskosten, Anwaltskosten und Maklerkosten. Zieht der Mieter daraufhin in eine teurere Wohnung, kann er zudem sogar die Differenzmiete zur früheren Miete verlangen, was für den Vermieter natürlich besonders ärgerlich ist und teuer werden kann. Geld ist also das zentrale Thema bei entsprechenden Prozessen. Mieter könnten zwar grundsätzlich auch die alte Wohnung zurückverlangen. Da der Vermieter diese aber in den meisten Fällen bereits wieder vermietet hat, wird das in der Regel problematisch sein. Nutzt er sie dagegen selbst, wird in der Regel auch tatsächlich Eigenbedarf bestehen.
Im vorliegenden Fall ging es wieder einmal um eine Konstellation, vor der ich schon seit längerer Zeit immer wieder warne: der Mieter hatte nach dem Erhalt der Eigenbedarfskündigung einen Räumungsvergleich mit dem Vermieter abgeschlossen. Teilweise nimmt in einem solchen Fall die Rechtsprechung an, dass auch bei geringfügigen Gegenleistungen des Vermieters - etwa Umzugsprämie, Erlass von Betriebskostennachforderungen oder Schönheitsreparaturen - der Mieter durch die entsprechende Einigung auf Ansprüche auch im Hinblick auf einen etwaigen vorgetäuschten Eigenbedarf des Vermieters verzichtet. Argumentation der Gericht: der Vermieter hätte kaum eine Gegenleistung erbracht, wenn der Eigenbedarf eindeutig gewesen wäre. Diese Begründung geht an der Praxis vorbei. Maßgeblicher Grund ist bei solchen Vereinbarungen regelmäßig der Zeitdruck: Der Vermieter kommt früher an die Wohnung, muss insbesondere kein lästigen Klageverfahren führen, dafür erhält der Mieter eine Gegenleistung. Wenn der Mieter von einem vorgetäuschten Eigenbedarf ausgehen würde, dann würde die Wohnung ja in aller Regel gar nicht erst räumen oder aber zumindest deutlich erheblichere Gegenleistungen fordern.
Bundesgerichtshof wohlwollend mit Mietern:
Nachdem das Landgericht Koblenz mit seinem Urteil vom 26. Februar 2014, Az: 6 S 282/13, in die obige Richtung tendierte, hat der BGH dieses nun in einem aktuellen Urteil vom 10. Juni 2015 - VIII ZR 99/14 - aufgehoben.
Der Bundesgerichtshof: "Ob ein Räumungsvergleich den Zurechnungszusammenhang zwischen der Vortäuschung einer (Eigen-)Bedarfssituation und dem später vom Mieter geltend gemachten Schaden unterbricht, ist im Wege der Auslegung des Vergleichs und unter Würdigung der Umstände des Einzelfalls danach zu beurteilen, ob die Parteien durch gegenseitiges Nachgeben auch den Streit darüber beilegen wollten, ob die (Eigen-)Bedarfslage des Vermieters bestand oder nur vorgetäuscht war. Nur dann, wenn mit dem Vergleich auch etwaige Ansprüche des Mieters wegen eines nur vorgetäuschten Bedarfs abgegolten werden sollten, fehlt es an dem erforderlichen Zurechnungszusammenhang."
Das war klar, jetzt kommt der entscheidende Teil:
Der Bundesgerichtshof: "An das Vorliegen des Willens des Mieters, auf etwaige Ansprüche gegen den Vermieter wegen eines nur vorgetäuschten (Eigen-)Bedarfs zu verzichten, sind strenge Anforderungen zu stellen; der Verzichtswille muss - auch unter Berücksichtigung sämtlicher Begleitumstände - unmissverständlich sein."
Damit widerspricht der BGH zumindest begrenzt der Ansicht einiger Gerichte, man könne bei einer wie auch immer gearteten Gegenleistung von einem stillschweigenden/konkludenten Verzicht auf alle weiteren Ansprüche des Mieters ausgehen.
Der Bundesgerichtshof: "Für einen stillschweigenden Verzicht des Mieters auf die vorgenannten Ansprüche bedarf es regelmäßig bedeutsamer Umstände, die auf einen solchen Verzichtswillen schließen lassen ... Derartige Umstände können bei einem Räumungsvergleich etwa darin liegen, dass sich der Vermieter zu einer substantiellen Gegenleistung - wie etwa einer namhaften Abstandszahlung - verpflichtet."
Trotz Erleichterung für Mieter immer noch Rechtsunsicherheit:
Nach dem Leitsatz könnte man annehmen, dass künftig die Annahme eines stillschweigenden Verzichts auf Schadensersatzansprüche wegen vorgetäuschten Eigenbedarfs nur bei Vereinbarung einer hohen Abfindung möglich ist. Leider relativierte der Bundesgerichtshof in den Entscheidungsgründen wieder etwas, wenn er dort schreibt, dass auch der Verzicht auf Schönheitsreparaturen als Gegenleistung ausreichen könnte. Es bleibt also eine gewisse Rechtsunsicherheit.
Fachanwaltstipp Mieter:
Mieter sollten im Zweifel immer ausdrücklich im Vergleich klären, dass damit kein Verzicht auf etwaige Ansprüche wegen vorgetäuschten Eigenbedarfs erfolgt. Es ist unverständlich, warum dies so oft unterbleibt. Man kann auch strategisch durch die Forderung der Aufnahme einer solchen Klausel viel erreichen. Der Vermieter, der dazu nicht bereit ist, zeigt deutlich, was er tatsächlich im Schilde führt.
Fachanwaltstipp Vermieter:
Bei Vermietern ist die Sache schon schwieriger. Angesichts der insgesamt äußerst vermieterfreundlichen Rechtslage, vergessen Vermieter oftmals, dass das Vortäuschen von Eigenbedarf auch erhebliche (strafrechtliche) Konsequenzen haben kann. Strafrechtlich droht die Verwirklichung von Vermögensdelikten (jedenfalls Prozessbetrug), aber auch eine Strafbarkeit hinsichtlich Aussagedelikten, wenn zum Beispiel vorsätzlich Zeugen für unwahre Sachverhalte benannt werden. In der Praxis passiert häufig nichts, weil die Gerichte meist an die Plausibilität der Eigenbedarfsgründe, aber auch an die Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen bzw. den Sachverhaltsvortrag zum Eigenbedarf nur verhältnismäßig geringe Anforderungen stellen. Vermieter, die sich absichern wollen, müssten in einen Vergleich ausdrücklich aufnehmen, dass mit der Gegenleistung auch etwaige Ansprüche wegen vorgetäuschten Eigenbedarfs abgegolten sein sollen.
Das ist schon deshalb problematisch, weil man sich fragt, warum der Vermieter auf einer solchen Regelung besteht? Vermieter werden also das Risiko einer späteren Inanspruchnahme häufig weiterhin in Kauf nehmen (müssen). Man könnte allerdings versuchen das Ganze in einer allgemeinen Regelung etwas zu verstecken. Formulierungsbeispiel: Die Parteien sind sich darüber einig, dass mit der Zahlung der Abfindung sämtliche Ansprüche zwischen den Parteien aus dem beendeten Mietverhältnis über die Wohnung ausgeglichen sind, auch soweit diese erst in Zukunft entstehen. Ob diese Klausel im Ernstfall dann allerdings hilft, wird sehr vom Einzelfall abhängig sein. Die Hürden für den Mieter werden allerdings dadurch wohl höher gelegt.
12.8.2015
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