(ots) - In Brüssel vergeht keine Woche mehr ohne
Sondertreffen zur Flüchtlingskrise. Doch der Minigipfel kommenden
Sonntag, wo sich die Regierungschefs der Hauptaufnahmeländer
Deutschland und Österreich mit denen der Durchreiseländer Bulgarien,
Griechenland, Kroatien, Ungarn, Rumänien und Slowenien sowie der
Nicht-EU-Mitglieder Serbien und Mazedonien treffen, fällt aus dem
Rahmen. Denn geladen hat nicht der dafür zuständige Ratspräsident
Donald Tusk sondern der Chef der obersten Verwaltungsbehörde,
Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker. Juncker hat angekündigt,
"politischer" agieren zu wollen als sein Vorgänger Barroso. Er fühlt
sich dafür zuständig, das Leid der Flüchtlinge zu mildern und ist da
ganz mit Angela Merkel einig. Doch warum lässt sich Tusk, der seit
einem Jahr dem Rat der Regierungen vorsteht, von Merkel und Juncker
in den Hintergrund drängen? Die simple Antwort lautet: Er wurde nicht
gefragt. Vor einem Jahr wechselte Tusk aus dem Amt des polnischen
Ministerpräsidenten in das des Ratsvorsitzenden, und Kritiker werfen
ihm vor, dass er dort noch immer so agiert, als säße er noch in
Warschau. Für die Eurorettung, die den Beginn seiner Amtszeit prägte,
hat er sich nie sonderlich ins Zeug gelegt. Polen hat den Euro
bislang nicht eingeführt. Stattdessen mischte er nach Kräften in der
Ukrainekrise mit, obwohl das eigentlich die Aufgabe der
außenpolitischen Vertreterin der EU gewesen wäre. Im nun auf der
Tagesordnung stehenden Flüchtlingsdrama bemüht sich Tusk zwar um eine
ausgleichende Haltung, doch seine wahre Ãœberzeugung kann er nicht
verbergen: Europa sollte seine Grenzen dichtmachen statt von den
osteuropäischen Mitgliedsländern mehr Solidarität zu fordern. Wenn
Angela Merkel durch ihre freundlichen Worten weitere Menschen zur
Flucht ermutigt, soll sie die Folgen alleine tragen - da weiß sich
Tusk mit der Mehrheit seiner Landsleute einig. Die deutsche
Bundeskanzlerin ist enttäuscht und zornig über diese Haltung, das hat
sie auch öffentlich deutlich gemacht. Schließlich hätten Regimegegner
aus Ungarn, Tschechien oder Polen jahrzehntelang vom Asylrecht
profitiert und in Westeuropa Aufnahme gefunden. Im Ãœbrigen seien die
Osteuropäer auf eigenen Wunsch dem grenzfreien Schengenraum
beigetreten und müssten nun auch die daraus resultierenden
Verpflichtungen mittragen. Wenn es am Sonntag im kleinen Kreis
gelingen könnte, diesen Standpunkt Merkels Parteifreund Victor Orban
aus Ungarn deutlich zu machen, wäre viel gewonnen. Wahrscheinlicher
aber ist, dass er bei seiner selbstgerechten Haltung bleibt. Die
Druckmittel der EU sind begrenzt, zumal Orban sich ja durchaus darauf
berufen kann, dass nicht er als erster die Schengenregeln verletzt
hat sondern Griechenland, das die Flüchtlinge ohne Registrierung
weiterreisen lässt. Bevor aber Kroatien dem Schengenraum beitreten
darf oder Serbien und Mazedonien EU-Mitglieder werden, muss die
europäische Flüchtlingspolitik gerechter gestaltet werden. Und es
muss die Möglichkeit geschaffen werden, auf Länder wie Ungarn oder
Griechenland, die alle Vorzüge der EU in Anspruch nehmen, die
vereinbarte Lastenteilung aber nicht mittragen wollen, verstärkten
Druck auszuüben. Da der polnische Ratspräsident Tusk das Problem
partout nicht sehen will, hat Merkel einen Weg gefunden, ihn elegant
aufs Abstellgleis zu schieben. Jean-Claude Juncker, mit dem sie
längst nicht immer einer Meinung ist, spielt dabei den bereitwilligen
Bundesgenossen. Denn er genießt es, politisch die Fäden zu ziehen und
dabei ein Herzensanliegen voran zu bringen: Den fairen und
menschlichen Umgang mit denen, die sich auf den mühsamen Weg nach
Europa gemacht haben.
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