(ots) - Besser miteinander reden als übereinander: Das
bewährte Rezept könnte auch den Ländern entlang der Fluchtroute über
den Balkan helfen. Grenzen sind in dieser Region auch 20 Jahre nach
Ende des Jugoslawienkriegs ein heikles Thema. Viele alte Rechnungen
sind unter den Nachbarn noch offen. Deshalb war es eine gute Idee von
Kommissionspräsident Juncker und Angela Merkel, die jungen
EU-Mitglieder Ungarn, Kroatien und Slowenien und Kandidatenländer wie
Serbien und Mazedonien an einen Tisch zu bringen. Weniger hilfreich
gestaltete sich hingegen der Auftritt des ungarischen Premiers Victor
Orban und seines kroatischen Kollegen Zoran Milanovic vor den
Journalisten. Orban erklärte, er sei nur als Beobachter und Ratgeber
gekommen, denn das ungarische Problem habe sich durch den
Stacheldrahtzaun zu Serbien und Kroatien erledigt. Und Milanovic
sagte, er habe eigentlich besseres zu tun, als sich in Brüssel ein
Gerede anzuhören, dem ohnehin keine Taten folgen würden. Deutlich
positiver äußerten sich Serbien und Mazedonien. Vielleicht liegt das
daran, dass sie die EU-Mitgliedschaft noch nicht in der Tasche haben
und sich deshalb mehr Mühe geben. Einige EU-Neulinge scheinen sehr
schnell vergessen zu haben, dass auch sie jahrelang auf den guten
Willen und die Solidarität ihrer Nachbarn angewiesen waren oder es
zum Teil bis heute sind. Es gehört zu den Konstruktionsfehlern der
EU, dass man strenge Kontrollen durchlaufen muss, um aufgenommen zu
werden, danach aber machen kann, was man will. Die EU-Kommissionhat
kein Druckmittel in der Hand, um europäische Solidarität notfalls zu
erzwingen. Auch deshalb bleibt die siebzehn Punkte umfassende
Vereinbarung, auf die sich nach langen Debatten alle Teilnehmer
verständigten, in zentralen Fragen vage. Alle verpflichten sich, die
Migranten so weit wie möglich davon abzuhalten, nach Norden
weiterzuwandern. Unklar ist aber, wie das funktionieren soll. 50 000
zusätzliche Unterkünfte sollen in Griechenland entstehen, weitere 50
000 entlang der Fluchtroute. Das reicht nur, wenn die Menschen von
dort zügig in andere Mitgliedsstaaten verteilt oder abgeschoben
werden. Entsprechende Programme sind über einige wenige Testflüge
noch nicht hinausgekommen. Denn die Flüchtlinge waten lieber durch
Flüsse und schlafen im Freien als das Risiko einzugehen, in einem
armen EU-Land zu landen oder gar nach Hause zurückgeschickt zu
werden. Und die Aufnahmebereitschaft ist ebenfalls nicht groß genug.
Wie können Flüchtlinge davon überzeugt werden, dass es für sie von
Vorteil ist, die Registrierungs- und Ãœbergangszentren (sogenannte
Hotspots) an den EU-Außengrenzen überhaupt zu betreten und dort bis
zur Weiterreise auszuharren? Die EU-Kommission versucht es mit einer
Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche. Ein Kommissionssprecher sagte
gestern fast beschwörend, jeder Familienvater müsse doch von der
Aussicht begeistert sein, sicher im Flugzeug zu reisen, statt seinen
Kindern die Strapazen tagelanger Fußmärsche zuzumuten. Wer sich aber
nicht registrieren lasse oder nicht in dem für ihn vorgesehenen
Aufnahmeland bleibe, der verwirke jeden Anspruch auf Asyl und
entsprechende soziale Leistungen. Die Aussicht auf einen
Freifahrschein und die Drohung mit dem Entzug des Schutzstatus wird
nur diejenigen locken, die ihre Asylchancen für aussichtsreich
halten. Alle anderen werden sich von Beamten und Polizisten möglichst
fernhalten und auf eigene Faust weiterreisen. Wenn der Winter kommt,
wird sich Europa entscheiden müssen, ob es die Flüchtlinge in Lager
zwingt oder ihren Tod auf der Landstraße riskiert. Eine Alternative
ist so scheußlich wie die andere.
Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten(at)mittelbayerische.de