(ots) - Das Auswärtige Amt zeichnet in einem vertraulichen
Papier ein düsteres Bild von der Lage in Afghanistan. Das
Radioprogramm NDR Info zitiert aus einem Bericht des Ministeriums
über die "asyl- und abschieberelevante Lage" vom 6. November, der als
Entscheidungshilfe für Gerichte und Behörden gedacht ist. Die
28-seitige Verschlussache "Nur für den Dienstgebrauch" beschäftigt
sich neben der Sicherheitslage vor allem mit der Umsetzung von Grund-
und Menschenrechten. Besonders negativ wird dabei die Lage von Frauen
und Kindern beurteilt. Die Justiz funktioniere "nur sehr
eingeschränkt", die Regierungsführung sei "weiterhin mangelhaft" und
die Entwicklung Afghanistans durch die weit verbreitete Korruption
gehemmt. Die Sicherheitslage ist laut der Analyse regional stark
unterschiedlich, aber "weiterhin volatil". Das Auswärtige Amt wollte
den Bericht auf Anfrage von NDR Info mit Hinweis auf die
Vertraulichkeit des Papiers nicht kommentieren. Bundesinnenminister
de Maizière drängt seit Ende Oktober darauf, afghanische Flüchtlinge
verstärkt in ihre Heimat zurückzuschicken.
In einem langen Kapitel über "asylrelevante Tatsachen" wird unter
anderem festgestellt, die Rechte von Frauen seien trotz erheblicher
Verbesserungen seit 2001 schwer zu realisieren. "Traditionell
diskriminierende Praktiken und Menschenrechtsverletzungen gegen
Frauen existieren insbesondere in ländlichen und abgelegenen Regionen
weiter. (...) Sexualisierte und geschlechtsspezifische Gewalt ist
weit verbreitet." Gewalttaten gegen Frauen und Mädchen fänden vor
allem in der Familie statt, aber auch durch Kollegen am Arbeitsplatz,
etwa gegen Polizistinnen. "Vor allem in den Rängen von Armee und
Polizei, aber nicht nur dort, ist der sexuelle Missbrauch von Kindern
und Jugendlichen in weiten Teilen Afghanistans nach wie vor ein
großes Problem. (...) eine polizeiliche Aufklärung findet nicht
statt." Oft würden Minderjährige für afghanische Sicherheitskräfte
rekrutiert, "um sich an ihnen sexuell zu vergehen". Bei der
Strafverfolgung funktionieren laut der Analyse des Auswärtigen Amtes
Verwaltung und Gerichte nur eingeschränkt. "Einflussnahme durch
Verfahrensbeteiligte oder -unbeteiligte und Zahlung von
Bestechungsgeldern verhindern Entscheidungen nach rechtsstaatlichen
Grundsätzen in weiten Teilen des Justizsystems."
Das staatliche Gewaltmonopol werde von Aufständischen und Milizen
"in vielen Landesteilen erheblich herausgefordert", heißt es in dem
Papier. "Die größte Bedrohung für die Bürger Afghanistans geht von
lokalen Machthabern und Kommandeuren aus. (...) Die Zentralregierung
hat auf viele dieser Personen kaum Einfluss und kann sie nur begrenzt
kontrollieren bzw. ihre Taten untersuchen oder verurteilen." Die
Regierung sei sich ihrer Verantwortung für den Schutz der Bevölkerung
zwar bewusst, "allerdings nicht immer in der Lage, diese effektiv
umzusetzen". Die Zahl ziviler Opfer durch Anschläge und Kämpfe habe
mit knapp 1600 allein im ersten Halbjahr 2015 den höchsten Wert seit
Sturz der Taliban 2001 erreicht. Die Lage der Häftlinge dagegen habe
sich laut einer UN-Umfrage insgesamt verbessert: "Nur noch 35% der
Befragten gaben an, gefoltert worden zu sein (im Gegensatz zu 49% im
UNAMA-Bericht von Januar 2013)."
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