(ots) - Das Stöbern in Zeitungsarchiven beschert
erstaunliche Déjà -vus: "Flüchtlingsstrom aus Nordafrika: Bayern droht
mit Grenzkontrollen zu Österreich" las man am 10. April.
"Flüchtlingsansturm spaltet Europa" einen Tag später.
Erscheinungsjahr: 2011. Schon vor vier Jahren wurde in der EU darüber
gestritten, ob und wie man sich gegen die anschwellenden
Flüchtlingsströme abschotten soll. Eine mehr als angemessene
Bedenkzeit ist seither verstrichen. Und statt damals weniger als 100
000 illegalen Grenzübertritten pro Jahr zählt Frontex jetzt mehr als
eineinhalb Millionen. Hätten die EU-Staaten nicht die schwierigen und
unangenehmen Fragen verdrängt und Polit-Mikado gespielt - wer sich
nicht bewegt, macht nichts verkehrt -, hätten sie rechtzeitig zu
einem belastbaren Konsens und gemeinsamen Regelungen kommen können,
wie mit der neuerlichen Migrationswelle umzugehen ist: Wieviele
Hilfesuchende lassen wir herein? Wer darf kommen und wer darf
bleiben? Doch die Europäische Union mit ihren 28 Mitgliedstaaten ist
eben kein wendiges Leichtboot, sondern ein schwerfälliger Ozeanriese.
Dessen Besatzung ist sich nicht einmal einig, wohin die Reise gehen
soll. Statt mit einer Stimme zu sprechen, erzeugte sie zuletzt in 24
Sprachen grelle Dissonanzen. Auch Deutschland hat die fällige
Selbstbefragung zu lange vor sich hergeschoben. Und während der
gesellschafts- und innenpolitische Eiertanz um das Reizwort
"Obergrenze" weitergeht, haut die EU-Kommission nebenan auf den
Tisch. Frontex wird auf Streife geschickt. Ein "Amt für
Rückführungen" soll für effizientere Abschiebung sorgen. Mehr
Grenzschutz: Das bedeutet nicht nur, dass illegale Grenzübertritte in
legale Bahnen gelenkt werden sollen. Es heißt vor allem: weniger
Flüchtlinge. Die personell und finanziell aufgerüstete gemeinsame
Agentur soll es also richten. Allerdings hat die EU sie in der
Flüchtlingskrise schon einmal absaufen lassen. Die Aufgabe von
Frontex ist die Sicherung der EU-Außengrenzen, nicht die
Seenotrettung. In diesem Dilemma blieb die Agentur allein auf hoher
See. Wie Frontex künftig, als schnelle Speerspitze des "Europäischen
Grenz- und Küstenschutzes" die heftige Zerreißprobe zwischen
Sicherheit einerseits und Humanität andererseits bestehen soll, ist
völlig unklar. Es ist allerdings zu verlockend, das moralische
Dilemma der EU-Staaten, die eigentlich den gemeinsamen
Asylrichtlinien verpflichtet sind, an eine anonyme Einrichtung
weiterzureichen. Für Frontex trägt jeder und doch keiner allein die
Verantwortung. Angela "Wir schaffen das" Merkel hat sich schon ohne
Zaudern hinter die Pläne der EU-Kommission gestellt. Das erspart ihr
einen schmachvollen Teil-Rückzug von den im Sommer proklamierten
hehren Zielen. Sie kann dabei bleiben: Schutzbedürftigen muss man
Schutz gewähren - künftig allerdings erst einmal außerhalb
Deutschlands. Der Name Frontex weckt hässliche Assoziationen: Er
steht für "frontières extérieures", also Außengrenzen. Doch in der
Kraftreiniger- und Unkrautbekämpfungsbranche signalisiert die Endung
"-ex": Weg damit! Die meisten osteuropäischen EU-Länder würden sich
freuen, wenn eine neu aufgestellte Grenzschutzagentur die Flüchtlinge
abschrecken und/oder stoppen könnte. Und auch die 50 Prozent
Einheimischen, die laut jüngstem ZDF-Politbarometer nicht glauben,
dass Deutschland die Integration der bereits ins Land gekommenen
Flüchtlinge bewerkstelligen kann, würden mehr oder weniger hörbar
aufatmen. Ganz ungeschoren kommt jedoch keiner davon. Nicht
finanziell und nicht moralisch. Die EU hat das Problem lediglich
vorläufig von der Hausschwelle in den Vorgarten gekehrt.
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