(ots) - Beständig ist nur der Wandel: Wer am Ende des
Jahres auf 2015 zurückblickt, erkennt wieder einmal, dass der Spruch
stimmt. Dass die Welt in Bewegung ist, haben Europa und Deutschland
natürlich immer gewusst, aber so unmittelbar gespürt haben das viele
wohl schon lange nicht mehr. Es hat erst der Flüchtlinge bedurft
sowie der Anschläge in Paris im Januar und November, um zu erkennen,
dass das, was in der Welt geschieht, plötzlich auch direkte
Auswirkungen auf unser Leben hat. Und das dürfte auch so bleiben. 25
Jahre sind vergangen, seit die Teilung in Ost und West endete. Es
folgte eine kurze Phase, in der es schien, als ob damit auch die
Geschichte ein Ende genommen hätte. Der Amerikaner Francis Fukuyama
hatte sein Buch so genannt: Das Ende der Geschichte. Weil der
Wettlauf der Systeme entschieden schien. Dann kam der 11. September
2001, als ein neuer Gegner den Westen herausforderte: der
islamistische Terror. Es ist dieser ideologisch-religiöse Kampf, der
die Geschichte neu in Gang gesetzt hat. Dabei ist er im Prinzip eine
Fortsetzung dessen, was die früheren Kolonialmächte begonnen hatten,
als sie die Welt nach ihrem Gusto aufteilten. Dieser neue
Großkonflikt hat viele weitere ausgelöst und alte wiederbelebt. Im
Kampf gegen den Islamischen Staat wird deutlich, wie sehr Saudi-
Arabien und der Iran die Geschicke im Nahen und Mittleren Osten
lenken, indem sie die diversen Terrororganisationen unterstützen. Der
Kampf gegen den IS zeigt auch, dass der Konflikt zwischen den USA und
Russland nicht wirklich beendet wurde; gerade, seit Wladimir Putin
den Anspruch erhebt, die Geschichte nach seinem Willen zu gestalten.
Diesen Machtanspruch über Zeit und auch Raum hat er in der
Ost-Ukraine bereits unterstrichen. Dieser seit längerem schwelende
Konflikt hat gezeigt, dass eine zunehmend multipolare Welt wieder
Kriege ermöglicht, auch vor der Haustür der Europäischen Union, die
als Friedensprojekt ja genau das verhindern möchte und dafür auch
schon den Friedensnobelpreis erhielt. Im Nahen und Mittleren Osten
entstehen im Schatten der alten auch neue Mächte. Die Türkei tritt
mit dem Anspruch auf, ohne sie werde weder der Syrien-Krieg noch das
damit verbundene Flüchtlingsproblem gelöst werden können. Seinen
Einsatz zur Lösung beider Probleme lässt sich ein zunehmend
autokratisch auftretender Präsident Erdogan von der EU fürstlich
entlohnen. Das geschieht durch finanzielle Mittel, aber auch durch
die Duldung von Erdogans Vorgehen gegen die Kurden. Die Türkei ist
somit eine wichtige Schaltzentrale für künftige Weichenstellungen
geworden. Einen "Betriebsunfall" gab es jedoch: Putin ist nach dem
Abschuss eines russischen Kampfjets durch die Türkei mächtig sauer
auf Ankara. Stichwort neue Mächte: Der Iran hat mit dem Atomabkommen
Handlungsspielräume erhalten, deren Folgen vor allem Israel fürchtet.
Teheran hat das Existenzrecht Israels nie anerkannt und wird das auch
nie tun. Die Welt ist also in Bewegung, sie ist komplizierter und
kleinteiliger geworden. Ein funktionierendes Staatengebilde wie die
EU wäre jetzt umso wichtiger. Aber Europa ist zerstritten, nicht nur
wegen der Flüchtlinge. Großbritannien erwägt, aus der EU
auszusteigen. Griechenland war kurz vor dem Euro-Rauswurf.
Rechtspopulisten in Frankreich, Polen, Ungarn oder den Niederlanden
fordern ein Ende der Gemeinschaft. Und der Terror von Paris zeigt,
dass die Verletzlichkeit Europas erkannt und ausgenützt werden wird.
Das kommende Jahr wird eine Bewährungsprobe für die EU sein. Es kommt
mehr denn je darauf an, dass sich die Gemeinschaft einbringt und
nicht auseinanderdividieren lässt. Deutschland, Frankreich oder
Großbritannien werden sich allein nicht behaupten können in einer
Welt, an deren entfernten Enden China längst auf dem Sprung ist und
Staaten wie Brasilien oder Indien auf ihre Chance warten. Und
Russland wird kein Friedensstifter in dem Maße sein wollen, wie wir
Frieden und Freiheit definieren; auch Amerika nicht, schon gar nicht
unter einem möglichen republikanischen Präsidenten. Ende 2016 wird
die Welt wieder ein Stück weit neu vermessen sein. Ein geeintes und
starkes Europa muss dabei eine entscheidende Rolle gespielt haben.
Pressekontakt:
Mittelbayerische Zeitung
Redaktion
Telefon: +49 941 / 207 6023
nachrichten(at)mittelbayerische.de