(ots) - Angela Merkel hat einen Rücknahmepakt mit dem
türkischen Premier Davutoglu eingefädelt, der vielen ihrer 27
EU-Kollegen Unbehagen bereitet - allerdings aus unterschiedlichen
Gründen. Liberale Politiker wie der belgische oder der Luxemburger
Premier melden Zweifel an, ob eine Abschiebung in die Türkei
angesichts der Menschenrechtslage ethisch überhaupt vertretbar ist.
Damit haben die ungarische und die polnische Regierung weniger
Probleme. Sie treibt die Frage um, ob sie für EU-Zusagen mit haften,
also gezwungen sein könnten, muslimische Flüchtlinge direkt aus der
Türkei aufzunehmen. Auch die österreichische Regierung zeigt sich
nicht begeistert von der Idee, sämtliche über die Ägäis geflüchteten
Menschen an die türkische Küste zurückzubringen und dafür eine
gleiche Zahl direkt aus türkischen Lagern in die EU zu holen. Kanzler
Faymann gab Angela Merkel den Rat, es seiner Regierung gleichzutun
und tägliche Obergrenzen festzulegen. Das fordert auch Bayerns
Ministerpräsident Horst Seehofer. Die Bundeskanzlerin aber weigert
sich, weil sie keinen Rückstau provozieren will, der in Griechenland
in einer Sackgasse endet. Stattdessen schlägt sie das vor, was
Österreichs Außenministerin Johanna Mikl-Leitner lange lautstark
gefordert hat. Es sei menschenverachtend, die Flüchtlinge zur
gefährlichen Überfahrt übers Mittelmeer zu verleiten, hatte
Mikl-Leitner immer wieder erklärt. Stattdessen müssten Vereinbarungen
mit den nordafrikanischen Nachbarn geschlossen werden, um dort von
internationalen Hilfsorganisationen geführte Lager einzurichten.
Jeder Flüchtling müsse wissen, dass es keinen Zweck habe, viel Geld
auszugeben und sein Leben zu riskieren. Der einzige Weg nach Europa
führe über einen Asylantrag von einem solchen Lager aus. Nach
derselben Logik soll nun das Abkommen mit der Türkei funktionieren.
Laut Kommissionspräsident Juncker sind die rechtlichen
Rahmenbedingungen geklärt. Sobald Griechenland die Türkei zum
sicheren Drittstaat erklärt, können die Menschen dorthin
zurückgeschickt werden. Dennoch bleiben viele Fragezeichen. Der EuGH
hat die Rückführung von Asylbewerbern nach Griechenland mit dem
Argument abgelehnt, dass dort keine menschenwürdige Behandlung
garantiert werden kann. Es mutet absurd an, dass die Rechte der
Flüchtlinge in der Türkei besser gewahrt sein sollen als im
EU-Mitgliedsland Griechenland. Hinzukommt, dass die Rückführung von
Bootsflüchtlingen nur einen Teil des geplanten Pakts ausmacht.
Gleichzeitig sollen türkische Staatsbürger ohne Visum in die EU
einreisen dürfen. Die Beitrittsverhandlungen werden beschleunigt. Und
die EU muss sich darauf einigen, wie sie die direkt aus türkischen
Lagern übernommenen Flüchtlinge in der EU verteilt. Vor allem
Letzteres stellt die europäische Werte- und Solidargemeinschaft auf
eine harte Probe. Denn es sind oft dieselben Politiker (und Wähler),
die über jedes aus dem Wasser gezogene Kind Krokodilstränen weinen,
während sie sich gleichzeitig gegen jede Quotenregelung sperren, die
für eine gerechte Verteilung der Flüchtlinge in der EU sorgen würde.
Gerade die Flüchtlinge selbst werden das Ergebnis des angeblich
entscheidenden EU-Gipfels in zehn Tagen und die Umsetzung der
eingegangenen Verpflichtungen mit großer Aufmerksamkeit verfolgen.
Wenn sich abzeichnet, dass die Abriegelung der Ägäis durch
Nato-Schiffe und die Rückführung von Bootsflüchtlingen aufs türkische
Festland hervorragend funktioniert, die Übersiedlung aus türkischen
Lagern aber nicht, dann werden die Schleuser und ihre Kunden neue
Wege suchen. Es könnten auch die alten sein - von Nordafrika aus
übers Mittelmeer nach Malta, Lampedusa oder Sizilien.
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