(ots) - von Thomas Spang, MZ
Die Zähigkeit des linken Polit-Opas mit dem zerzausten Haar kann
beeindrucken. Eben noch debattiert der 74-jährige Sanders auf einer
Bühne in Brooklyn mit der gesetzten Favoritin des demokratischen
Establishments, kurz darauf jettet er für eine zehnminütige Rede in
den Vatikan. Von dort hofft er mit päpstlichem Rückenwind als erster
über die Ziellinie der Vorwahlen von New York getragen zu werden. Ein
Sieg über die "Beute"-New-Yorkerin Clinton wäre in der Tat "riesig",
wie Bernie mit seinem Brooklyner Akzent zu sagen pflegt. Denn in
allen Umfragen liegt der gebürtige New Yorker in seinem Heimatstaat
deutlich zurück. Doch es wäre nicht das erste Mal, dass der
Hoffnungsträger der jungen Linken in den USA überraschte. Nach seiner
Schlappe bei den Vorwahlen in South Carolina bereits angezählt,
gelang dem Parteirebellen ein beeindruckendes Comeback: In den
letzten acht von neun Vorwahlen setzte er sich, zum Teil zweistellig,
gegen Clinton durch. Seine idealistischen Anhänger spüren wieder das
Feuer der Leidenschaft, das Sanders in New Hampshire siegen ließ. Die
knapp 30 000 Menschen, die vergangen Mittwoch am Washington Square in
Manhattan bei einer Kundgebung auftauchten, sind der sichtbare
Ausdruck der Vitalität seiner Kandidatur. Zweifelsohne hat Sanders
das, was Wahlkampfanalysten in den USA "Big Mo" nennen - Momentum.
Die offene Frage bleibt, ob das reicht, die harten Realitäten zu
überkommen. Clinton führt dank ihrer überzeugenden Siege im
konservativen Süden der USA, aber auch in wichtigen Bundesstaaten wie
Florida, Illinois, North Carolina und Ohio, mit 220 Delegierten das
Rennen um die Nominierung an. Da die Demokraten ihre Stimmen
proportional vergeben, muss Sanders bei den verbleibenden Vorwahlen
abräumen. So gesehen wird ein Sieg in New York zur Pflicht. Sanders
versteht die Herausforderung. Bei der neunten und vermutlich letzten
Debatte mit Hillary am Donnerstag in Brooklyn legte er die
Samthandschuhe ab und kämpfte mit harten Bandagen. Er hielt Clinton
ein Sündenregister vor, das US-Linke erschaudern lässt. Es reicht von
ihrer Zustimmung zum Irak-Krieg über die Nähe zur Wall Street bis hin
zur Masseninhaftierung der schwarzen Bevölkerung nach der
Strafrechtsreform in den 90er Jahren. Der Clash mit Clinton in New
York legt die Verwerfungen innerhalb der Demokraten offen, die Dank
des Spektakels auf Seiten der Republikaner bisher nur wenig Beachtung
fanden. Die idealistischen "Sandernistas" können wenig mit dem
technokratischen Zentrismus der Hillary-Anhänger anfangen - und
umgekehrt. Im Unterschied zu den Republikanern, steht das
Establishment der Demokraten auf Seiten der Spitzenreiterin. Dass
Sanders sie als "nicht qualifiziert" für das Präsidentenamt
bezeichnete, half ihm bei der Parteiführung ebensowenig, wie er seine
eigene Glaubwürdigkeit mit einem desaströs schwachen Interview mit
der New York Daily News untergrub. Hillary hat in der Partei den
Status einer Schulleiterin. Sie wird nicht von allen geliebt, aber
von den meisten geachtet. Sie inspiriert selten, aber überzeugt immer
durch solide Sachkenntnis. Das zählt eine Menge angesichts der
drohenden Kandidatur des Nationalisten Donald Trump. Und es
verringert die Bereitschaft der Basis, ein Risiko mit Sanders
einzugehen. Sein Sieg in New York käme deshalb einem politischen
Wunder gleich. Eine Niederlage besiegelte das Ende der
Sandernista-Revolte.
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